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Verschiedene Fotoateliers, Fotoalbum für Cartes de Visite, um 1900

Albuminabzüge auf Karton, Leder, Messing
Erworben 1997 als Schenkung
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 24.146

Juliane Peil

Die Veröffentlichung der Daguerreotypie 1839 in Paris wird in der Literatur häufig als Geburtsstunde der Fotografie bezeichnet. Namensgeber ist der französische Maler Louis Daguerre (1787–1851), der bereits in den Jahren zuvor mit dem französischen Erfinder Joseph Nicéphore Niépce (1765–1833) zusammenarbeitete. Mit dem ersten kommerziell nutzbaren fotografischen Verfahren eröffneten noch im selben Jahr die ersten Fotostudios.

Um der steigenden Nachfrage nach Porträtfotos gerecht zu werden, suchte der Fotograf André Adolphe Eugène Disdéri (1819–1889) nach einer Möglichkeit, eine größere Anzahl von Porträts zu geringeren Kosten herzustellen. Bisher erzeugten aufwendige fotografische Techniken nur ein einziges Bild. Die größte Herausforderung lag deshalb in der technischen Umsetzung. Disdéri entwickelte eine Kamera mit vier Objektiven, die es ihm ab 1859 ermöglichte, bis zu acht Negative auf einer einzigen Platte zu erstellen. In den Folgejahren wurden verschiedene Kameras entwickelt, die vier bis acht Bilder pro Platte belichten konnten. Auf diese Weise konnte entweder ein Einzelbild vervielfältigt oder eine Vielzahl von Posen aufgenommen werden.

Bereits 1854 ließ sich Disdéri das Verfahren der Carte de Visite patentieren. Dadurch wurde das fotografische Porträt für breite Kreise erschwinglich und erfreute sich in den 1850er und 60er Jahren v.a. in der aufstrebenden Mittelschicht großer Beliebtheit. Viele Fotoateliers – sei es in Berlin, Paris, London oder New York – nahmen die Cartes de Visite in ihr Angebot auf. Die kleinen rechteckigen Albuminabzüge sind 9 x 6 cm groß und wurden auf einen circa 10,5 x 6,5 cm großen Karton montiert. Aufgrund seines Detailreichtums zählte das lichtempfindliche, dünne Fotopapier bis 1900 zu den beliebtesten Kopierpapieren. Durch industrielle Herstellungsverfahren konnte es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in hoher Stückzahl produziert werden.

Während der Untersatzkarton für die Abzüge zunächst mit einem einfachen Stempel versehen wurde, nutzten die Fotoateliers die freien Flächen auf den Vorder- und Rückseiten bald als Werbefläche. Am unteren Rand der Vorderseite standen meist Name und Standort des Fotografen oder des Ateliers. Rückseitig fanden sich neben der Adresse auch Zusatzinformationen, so etwa der Hinweis, dass die Fotoplatte für Nachbestellungen und Vergrößerungen aufbewahrt wurde. Der Trägerkarton wurde bisweilen jährlich neu gedruckt und häufig kunstvoll mit Blumenranken, Ornamenten sowie goldener Schrift gestaltet. Die Stärke des Kartons nahm mit den Jahrzehnten zu und erlaubte schräge, farbige oder vergoldete Schnittkanten. Der Untersatzkarton variierte in der Farbigkeit von Cremefarben über Brauntöne bis hin zu Schwarz.

Wie der Name bereits verrät, ist der Vorreiter der Carte de Visite die Visitenkarte, die in Europa erstmals im 17. Jahrhundert in Erscheinung trat. Übersetzt bedeutet das französische Wort „Visite“ Besuch. Die „Besuchskarte“ wurde bei Besuchen in hohem Hause entweder dem Diener oder der Empfangsdame übergeben. Familien stellten oft dekorative Körbe oder Tabletts im Eingangsbereich auf, um die sogenannten Cartes de Visite der Besucher:innen entgegenzunehmen.

Das fotografische Pendant war ebenso zur Weitergabe gedacht. Das Bürgertum nutzte sie nicht nur als Visitenkarte, sondern auch als Ausdruck ihres sozialen Status und ihrer Beziehungen. Die Porträtierten bestellten mehrere Sets, um diese mit Verwandten und Freund:innen zu tauschen. Während des Amerikanischen Bürgerkriegs dienten die Porträtaufnahmen beispielsweise den Angehörigen der Soldaten als fotografische Erinnerungsstücke. Im Gegensatz zu früheren Verfahren und Formaten konnten die Cartes de Visite ohne sperrige Hülle und zerbrechliches Deckglas per Post verschickt werden.

Gesammelt und aufbewahrt wurden die Karten in speziellen Fotoalben. Diese wurden seit den 1850er Jahren als normierte Einsteckalben in unterschiedlicher Ausstattung verkauft. Der Einband wurde entweder aus Pappe, Leinen oder Leder hergestellt und war mit Verzierungen, wie zum Beispiel aufwendigen Metallbeschlägen, geschmückt. Nicht nur der Einband, sondern auch die Innenseiten waren häufig mit Ornamenten oder floralen Motiven gestaltet. Die stabilen Albumseiten wurden mit Schlitzen ausgestattet, um die Cartes de Visite einschieben zu können. Oft diente ein Vorhängeschloss als Sicherung.

Auch im Sammlungsbestand des Landesmuseums befinden sich solche Fotoalben für Cartes de Visite, von denen eins aus dem Nachlass des Oldenburgers Carl-Ludwig Lebeth stammt. Die Bilder zeigen Familienmitglieder und wurden in diversen Fotoateliers aufgenommen, z.B. im Studio von Karl Vogelsang in Braunschweig, Hans Rupprecht in Bremen sowie Anna Geneta Helene Margarete Feilner (1863–1929) und Jean Baptiste Feilner (1844–1912) in Oldenburg. Um die Jahrhundertwende war Anna Feilner die einzige Frau in Oldenburg, die ein Fotostudio führte. Sie und ihr Großcousin Jean Baptiste entstammten einer bekannten Fotografenfamilie. Zwischen 1880 und 1910 führte er gemeinsam mit August Mohaupt ein fotografisches Atelier in der Rosenstraße 29. Auf der Rückseite der produzierten Cartes de Visite bezeichnet sich J. B. Feilner selbst als „Hofphotograph des Erbgroßherzogs von Oldenburg“.

Noch heute finden sich unzählige Alben aus dem 19. und 20. Jahrhundert, leer oder mit Fotos gefüllt, im Antiquitätenhandel. Sie spiegeln nicht nur das umfangreiche Spektrum der Gebrauchsweisen der Fotografie wider, sondern sind ein sehr wichtiges Medium für das Sammeln, Aufbewahren und Präsentieren von Fotografien. Laut Bernd Stiegler und Kathrin Yacavone versteckt sich hinter dem Arrangieren, Befüllen und Montieren von Alben eine kulturelle Praxis, die unzählige Geschichten verbirgt: „Nicht selten kommt es in Fotoalben zu einer Verschränkung der Familiengeschichte mit jener des Landes, der Epoche oder des Zeitalters. Alben führen Fotogeschichten im Wortsinn vor Augen und speisen sich im 19. Jahrhundert doch zumeist aus der oralen Tradition, da ein Album ohne erzählte Geschichte und Geschichten rasch zu einem nahezu unlesbaren Relikt der Vergangenheit wird.“

Literatur:
Elizabeth McCauly: A. A. E. Disdéri and the Carte de Visite Portrait Photograph, London 1985.
Bernd Stiegler und Kathrin Yacavone: Fotoalben im 19. Jahrhundert. Editorial, in: Dies. (Hg.): Norm und Form: Fotoalben im 19. Jahrhundert, Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, Jg. 41, Heft 161 (2021), S. 3f.

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