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Wenzel Hablik (1881-1934), Teile eines 36-teiligen Tafelbestecks, ab 1924

Silber getrieben
Erworben 2023
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 28.729

Runa König

Ein Essbesteck solle „durchdacht sein wie ein Präzisionswerkzeug oder ... wie ein chirurgisches Instrument. (...) Die Form allein soll sprechen und darum arbeite ich nur für den gewöhnlichen Gebrauchszweck. (...) Jedes Teil muss gut in der Hand liegen, gut ausbalanciert und gut zu säubern sein.“ Mit diesen Worten beschrieb der Universalkünstler Wenzel Hablik in einem undatierten Manuskript „Neue Eßbesteckformen 621“ (zit. nach: Architekturvisionen S. 47, Fußnote 59, Wenzel Hablik: Neue Eßbesteckformen von Wenzel Hablik-Itzehoe, undat. Manuskript, Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe, WH/A I div.) seine Vorstellungen von einem idealen Essbesteck.

International bekannt wurden Wenzel Hablik und seine Frau, die Weberin Elisabeth Hablik-Lindemann, vor allem durch ihre Teilnahme an der Grassi-Messe für Kunsthandwerk in Leipzig, auf der sie ab 1921 regelmäßig als „Werkstatt für Handwebereien und Metallarbeiten“ ausstellten. Aber das Kunsthandwerk war nur ein kleiner Teil des umfangreichen und vielseitigen Werkes des Künstlers. Hablik wurde 1881 in Brüx, Westböhmen (heute Most, Tschechische Republik) als Sohn eines Tischlers geboren. Nach einer Ausbildung als Tischler, der Arbeit als Porzellanmaler sowie einem Studium an der Fachschule für Tonindustrie und verwandte Gewerbe in Teplitz-Schönau (heute Teplice), studierte er an der Kunstgewerbeschule des österreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien. 1905 wechselte er an die Akademie der Bildenden Künste in Prag. Im Jahr 1907 lernte er auf einer seiner zahlreichen Reisen den Holzgroßhändler Richard Biel aus Itzehoe kennen, der sein Mäzen werden sollte, und verlegte seinen Wohnsitz kurze Zeit später in die Kleinstadt nördlich von Hamburg. Durch Biel lernte er seine spätere Frau Elisabeth Lindemann kennen. Sie war die Leiterin der Meldorfer Museumsweberei und inspirierte ihn dazu, auch Stoffe zu entwerfen. In den folgenden Jahren entstanden vor allem Möbel für die Familie Biel und Muster für den Tapetenhändler Soetje. Hablik wurde Mitglied im Deutschen Künstlerbund. Er stellte in Herwarth Waldens Galerie „Der Sturm“ in Berlin zusammen mit Künstlern wie Kokoschka, Picasso und Gauguin aus. Während des Ersten Weltkrieges war er Kriegszeichner auf Sylt.
1917 heiratete er Elisabeth Lindemann. Sie erwarben eine Villa aus der Gründerzeit mit angeschlossener Metallwerkstatt. Eine erste  Einzelausstellung fand 1918 im Altonaer Museum statt.

Hablik beschäftigte sich sein Leben lang mit der Idee, das ganze Leben zu gestalten, von der Natur und ihren Formen inspiriert, Kunst in alle Bereiche des Lebens eindringen zu lassen und ein „Gesamtkunstwerk“ zu schaffen. Seinen Traum, ein solches Werk zu schaffen, verwirklichte er in seinem eigenen Haus, das er mit farbigen Innendekorationen, Möbeln und Gemälden ausstattete. Aber auch seine Kleidung, jede Art von Gebrauchsgegenstand bis hin zu Festen und dem Habitus des Künstlers waren künstlerisch durchdacht. Sein Werk umfasst Zeichnungen und Gemälde, Entwürfe für utopische Architekturen, Möbel, Stoffentwürfe und verschiedenstes Kunsthandwerk wie Besteck und Geschirr. Besonders inspirierend waren für ihn die Formen der Natur. Seit seiner Kindheit sammelte er Schnecken und Kristalle. Aber auch Berge, Wolkenformationen oder das Meer waren Inspirationsquellen und Vorbilder. So fertigte er im Laufe seines Lebens zahlreiche großformatige Gemälde von Sternenhimmeln, Gebirgen, Wolken und dem Meer an. Daneben schuf er Inneneinrichtungen und –dekorationen sowie Dinge des täglichen Gebrauchs für wohlhabende Familien.

Die einzelnen Teile des hier ausgestellten Bestecks wurden per Hand aus Silberblech gesägt und nach Messingmodellen getrieben. Die Spuren des Hammerschlags sind deutlich zu erkennen und geben jedem einzelnen Stück seine Individualität, gehörten zum künstlerischen Konzept. In den Jahren 1924 bis 1930 wurden die einzelnen Teile durch die in seiner Werkstatt ausgebildete Kunsthandwerkerin Liane Haarbrücker (1902–1977) gefertigt. Danach wurde der Itzehoer Goldschmied Spliedt, der sein Geschäft in der Talstraße in Itzehoe hatte, mit der Fertigung beauftragt.

Deutlich zu erkennen ist links das eigenwillige Signet des Künstlers, das auf vielen seiner Werke zu finden ist. Rechts daneben befinden sich die Punze des Juweliers Spliedt (das Firmensignet des Goldschmiedes Spliedt wird auch heute noch von dem Unternehmen verwendet, das nicht mehr in Itzehoe, aber an verschiedenen Standorten in Deutschland in fünfter Generation tätig ist. Quelle: www.spliedt.de/pages/uber-uns, abgerufen am 14.03.2025), der Stempel für den Feingehalt 800 sowie die beiden Reichsstempel, der Halbmond für Silber und die Krone für das Deutsche Reich. Die außergewöhnliche Gestaltung und die individuelle, aber auch schlichte Form zeugen von Habliks Ideenreichtum. Das Besteck ist grundsätzlich schlicht gehalten. Es erscheint ohne aufwändige Verzierungen oder verspielte Muster. Die künstlerische Gestaltung liegt im Detail der einzelnen Teile. Sie sind von Hablik in ihrer Funktionalität durchdacht und gleichzeitig individuell gestaltet.

Diese Details sind sich verbreiternde oder auch spitz zulaufende Enden, die überlangen und besonders kurzen Zinken der Gabeln. Der Dessertlöffel ist mit einem tropfenförmigen Stielende versehen. Besonders auffällig ist jedoch der asymmetrisch geformte Löffel, der jeder Norm trotzt. Funktionalität und Individualität charakterisieren die Formgebung, wie auch in Habliks Vorbild der Natur. Die Teile sind so abwechslungsreich und einzigartig, gehören aber doch zu einem ganzen Besteck.

Wie nun dieses außergewöhnliche Besteck in das Landesmuseum Oldenburg gelangte, ist eine eigene Geschichte. Die Objekte kommen aus der Sammlung Giorgio Silzer (1920–2014), der viele Jahre Erster Geiger der Deutschen Oper in Berlin war. Mit 60 Jahren setzte er sich zur Ruhe und konnte sich intensiv seiner zweiten Leidenschaft neben der Musik widmen. Er sammelte mit großer Begeisterung Kunst- und Kunsthandwerk des Jugendstils und Art Déco. Dies tat er aber nicht für sich, sondern stellte die Werke Museen zur Verfügung: Er verschenkte, verkaufte und verlieh sie. Der Sammler stellte dem Landesmuseum das Besteck Habliks ab 2011 als Leihgabe zur Verfügung. Im Jahr 2023 konnte es für das Museum erworben werden und ergänzt heute mit seinem außergewöhnlichen Design die Sammlung Kunstgewerbe und Design.

Literatur:
Wenzel Hablik – expressionistische Utopien, Malerei, Zeichnung, Architektur, Wiederentdeckte Moderne II, Ausst.-Kat. Martin-Gropius-Bau, Berlin 2. September 2017 bis 14. Januar 2018, München/London/ New York 2017.
Wenzel Hablik. Architekturvisionen 1903-1920, Ausst.-Kat. Institut Mathildenhöhe, Darmstadt, und Wenzel-Hablik-Stiftung, Itzehoe, Darmstadt 1995.
Axel Feuß, Wenzel Hablik (1881-1934). Auf dem Weg in die Utopie. Architekturphantasien, Innenräume und Kunsthandwerk, Diss., Hamburg 1989.

Weblinks:
Einen Eindruck des umfangreichen Werkes des Künstlers kann man im Wenzel-Hablik Museum in Itzehoe bekommen:
http://www.wenzel-hablik.de/.
Heute noch sichtbar ist das Wohnhaus der Habliks, eine Gründerzeit-Villa, deren Fassade er kurz vor seinem Tod im Jahr 1934 nach seinen Vorstellungen umgestaltete:
https://hablik-villa.de/.

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