Ludwig Münstermann (um 1575-1637/38), zugeschr., Kreuzigungsszene, zwei Apostel, Pelikan, um 1600-1615
Elfenbein
Erworben 1928
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 8.212, Inv. 8.213, Inv. 8.214, Inv. 8.215
Dr. Anna Heinze
Der Bildhauer Ludwig Münstermann, der vermutlich um 1575 in Bremen geboren wurde und 1637/38 starb, ist vor allem für seine großartigen Altarwerke, Kanzeln und Taufen aus Holz berühmt. Auch einige Arbeiten aus Stein und Alabaster sind von ihm überliefert, wie beispielsweise die imposante Figur des Moses oder die Kanzelfiguren in der St. Ulrichs-Kirche in Rastede. Kaum bekannt ist, dass Münstermann auch Miniaturfiguren aus Elfenbein schuf. In der Sammlung des Landesmuseum haben sich vier bemerkenswerte Stücke aus Elfenbein erhalten, die vermutlich aus seiner Hand stammen. Es handelt sich um eine figurenreiche Kreuzigungsszene, zwei Apostelfiguren sowie einen Pelikan mit seinen Jungen in einem Nest.
Die nur wenige Zentimeter umfassenden Arbeiten sind trotz ihres kleinen Formats eindrucksvoll und ausdrucksstark. Insbesondere die Kreuzigungsszene verfügt über typische Merkmale der manieristischen Kunst. Sie zeigt zentral den ans Kreuz genagelten Christus, dessen aus seinen Wunden tropfendes Blut von Engeln in Gefäßen aufgefangen wird. Zu seiner Rechten und Linken sind die beiden Schächer am Kreuz zu sehen. In der unteren Zone des Reliefs sind außen zwei Figurenpaare positioniert: links Johannes, der die trauernde Maria stützt und rechts zwei römische Soldaten. Zwischen diesen beiden Paaren befindet sich eine Einzelfigur: Die verzweifelte Maria Magdalena umfasst den Kreuzesbalken. In die Platte ist als Landschaftshintergrund die Stadtsilhouette Jerusalems eingeritzt.
Die beiden Schächer sowie die zwei römischen Soldaten sind die künstlerisch bemerkenswertesten Figuren in der Darstellung. Ihre Körper weisen die unterschiedlichsten Haltungen auf: gedreht, gelängt, aufgebäumt, zusammengesackt oder gespreizt. Hier zeigt Münstermann seine besondere Auffassung von Körperlichkeit. Weder an klassischen Idealen noch an einem wirklichkeitsnahen Naturalismus orientiert, schafft Münstermann Figuren von einer manieristischen Künstlichkeit, die dem Geschehen – dem Leiden der Schächer am Kreuz und der Überheblichkeit der römischen Soldaten – in einer fast übertriebenen Art und Weise Ausdruck verleiht.
Dies verweist ins Zentrum von Münstermanns Schaffen. Der Künstler, der Zeit seines Lebens von einer Werkstatt in Hamburg aus arbeitete, hat die Kunstlandschaft des gesamten Oldenburger Landes geprägt. Hier stattete er neben den beiden Residenzschlössern von Graf Anton Günther in Oldenburg und dessen Onkel Graf Anton II. in Delmenhorst zahlreiche Kirchen von Langwarden bis Holle und von Hohenkirchen bis Blexen aus. Es gibt in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nichts Vergleichbares an Skulptur in dieser Region. Auch in den Jahrzehnten vor und nach Münstermann ist kein Bildhauer zu nennen, der dessen Qualität erreicht hätte. Münstermann steht für die Zeit, in der er seine Hauptwerke schuf, singulär und zugleich äußerst produktiv dar. Der offenkundig hohen Nachfrage kam er nach, wobei immer wiederkehrende Elemente bzw. Versatzstücke (z. B. Abendmahlsgruppen oder Einzelfiguren wie Moses mit den Gesetzestafeln) in unterschiedlichen Kirchen darauf schließen lassen, dass in seiner Werkstatt sehr wirtschaftlich und effizient gearbeitet wurde. Dass die Werke heute zum Großteil noch in situ erhalten sind, ist der geschickten Politik Graf Anton Günthers während des Dreißigjährigen Krieges zu verdanken. Anton Günther sorgte mit der Strategie einer (zumindest vorgegebenen) Neutralität dafür, dass der Dreißigjährige Krieg fast spurlos an der Grafschaft Oldenburg vorbeizog und Münstermanns Werke verschonte.
Die hier thematisierten Alabasterfiguren wurden 1928 vom damaligen Direktor Walter Müller-Wulckow in Hamburg erworben. Er schrieb sie aus stilistischen Gründen Münstermann zu. Die Forschung nimmt an, dass die geschnitzten Elfenbeinminiaturen einst Teile eines kleinen Hausaltares gewesen sein könnten. Denn auch das Motiv des Pelikans, der seine Jungen mit seinem eigenen Blut nährt, kann christlich gedeutet werden: Er steht als Symbol für Jesus Christus.
Heute demonstrieren Münstermanns Werke eindrucksvoll, in welcher Qualität auch in der nordwestlichsten Region Deutschlands die Strömungen des europäischen Manierismus präsent waren. Dabei stellen die Skulpturen im Kleinstformat einen bemerkenswerten Gegenpol zu den durch ihre schiere Größe überwältigenden Altären der Münstermann-Werkstatt dar. Sie zeigen einmal mehr, wie vielseitig das Œuvre Münstermanns ist.






































