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Nussknacker
Anfang 19. Jahrhundert

Holz
erworben 1922 als Schenkung aus Privatbesitz
Inv. 4.423

Marcus Kenzler

Nachdem der Frankfurter Kunsthistoriker Walter Müller-Wulckow (1886–1964) zu Beginn des Jahres 1921 als Gründungsdirektor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte im Oldenburger Schloss eingesetzt worden war, begann er mit der Neukonzeption der vorgefundenen Sammlungsbestände. Neben den Alten Meistern aus der Großherzoglichen Gemäldesammlung und Kunstwerken aus der Staatlichen Galerie Neuerer Malerei standen auch zahllose Objekte aus der Sammlung des ehemaligen Oldenburger Kunstgewerbemuseums zur Verfügung, die aus der Großherzoglichen Altertümersammlung hervorgegangen war. Müller-Wulckow bediente sich aber nicht nur aus vorhandenen Beständen, sondern tätigte auch programmatische Neuerwerbungen und profitierte von Schenkungen aus der Oldenburger Bevölkerung. So erhielt er beispielsweise 1922 einen imposanten, kunstvoll geschnitzten und bemalten Nussknacker von dem Oldenburger Versicherungs-Generalagenten Wilhelm Fimmen als Geschenk.

Ein osmanischer Soldat in Oldenburg

Der aus Holz geschnitzte Nussknacker mit einer stattlichen Höhe von 57,5 cm stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erhielt bei seiner Inventarisierung den unzutreffenden und heute nicht mehr ganz zeitgemäßen Titel „Türke mit Turban“. Es ist anzunehmen, dass das Gestaltungsvorbild für diese Figur ein osmanischer Soldat aus der Zeit um 1800 gewesen sein könnte, wobei die dargestellte Kleidung nur in Teilen als authentisch bezeichnet werden kann. Der vollbärtige Mann ist mit einem braun-grünen Wams, roten Hosen, schwarzen Stiefeln und einem langen roten Mantel bekleidet, auf dem langen Haar trägt er einen blau-roten Turban mit Federschmuck. Diese Farbgebung orientiert sich an der historischen Kleidung des osmanischen Reiches, die von den Farben Rot, Violett, Grün und Gold dominiert wurde. Der schlichte Mantel des Nussknackers erinnert an die traditionellen langärmligen Kaftane osmanischer Männer, die nicht geknöpft und zumeist offen getragen wurden; allerdings waren sie, insbesondere bei gesellschaftlich höherstehenden Trägern, reich bestickt und verziert. Der Turban stellte das bedeutendste und aussagekräftigste Accessoire des Mannes dar, wobei die Größe, die Art der Wicklung und vor allem die Farbgebung Auskunft über den gesellschaftspolitischen Stand gaben: Der Sultan und die osmanischen Türken trugen weiße Turbane, wohingegen die Araber an ihren bunten Turbanen zu erkennen waren. Stellt der Nussknacker mit seinem zweifarbigen Turban also einen arabischstämmigen Soldaten des osmanischen Reiches von niedrigerem Rang dar? Möglich wäre es. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Herstellung der Holzfigur nicht auf der Grundlage detaillierter Kenntnisse osmanischer Kleidungs- und Modestile erfolgte, sondern vielmehr eine fiktive und klischeehafte Garderobe erdacht wurde, die sich in Teilen auch an europäischen Kleidungsstücken orientierte.

Seinen linken Arm hat der Nussknacker angewinkelt und stemmt die zur Faust geballte Hand entschlossen in die Seite. Die rechte Hand ist bis zur Brust erhoben und umschließt einen verloren gegangenen Gegenstand – vermutlich hielt er einst einen Säbel, eine Lanze oder eine Fahne. Im Gegensatz zu vielen klassischen Nussknackern überzeugt das Oldenburger Exponat unabhängig von seiner Funktion auch als kunstvoll geschnitzte Holzskulptur, die erst auf den zweiten Blick als Nussknacker identifizierbar ist, da der Hebel auf dem Rücken der Figur vollständig in den Falten des Mantels verschwindet. Sogenannte Hebelnussknacker werden als figürliche Dekorationselemente zumeist aus Holz geschnitzt oder gedrechselt, wobei die Nuss durch einen Hebelmechanismus im „Mund“ geknackt wird. Funktionale Nussknacker wie Zangen- und Schraubennussknacker dienen dagegen keinem dekorativen Zweck, sondern werden zielgerichtet als Werkzeug eingesetzt.

Nachdem der Frankfurter Kunsthistoriker Walter Müller-Wulckow (1886–1964) zu Beginn des Jahres 1921 als Gründungsdirektor des Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte im Oldenburger Schloss eingesetzt worden war, begann er mit der Neukonzeption der vorgefundenen Sammlungsbestände. Neben den Alten Meistern aus der Großherzoglichen Gemäldesammlung und Kunstwerken aus der Staatlichen Galerie Neuerer Malerei standen auch zahllose Objekte aus der Sammlung des ehemaligen Oldenburger Kunstgewerbemuseums zur Verfügung, die aus der Großherzoglichen Altertümersammlung hervorgegangen war. Müller-Wulckow bediente sich aber nicht nur aus vorhandenen Beständen, sondern tätigte auch programmatische Neuerwerbungen und profitierte von Schenkungen aus der Oldenburger Bevölkerung. So erhielt er beispielsweise 1922 einen imposanten, kunstvoll geschnitzten und bemalten Nussknacker von dem Oldenburger Versicherungs-Generalagenten Wilhelm Fimmen als Geschenk.

 

Ein osmanischer Soldat in Oldenburg

 

Der aus Holz geschnitzte Nussknacker mit einer stattlichen Höhe von 57,5 cm stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und erhielt bei seiner Inventarisierung den unzutreffenden und heute nicht mehr ganz zeitgemäßen Titel „Türke mit Turban“. Es ist anzunehmen, dass das Gestaltungsvorbild für diese Figur ein osmanischer Soldat aus der Zeit um 1800 gewesen sein könnte, wobei die dargestellte Kleidung nur in Teilen als authentisch bezeichnet werden kann. Der vollbärtige Mann ist mit einem braun-grünen Wams, roten Hosen, schwarzen Stiefeln und einem langen roten Mantel bekleidet, auf dem langen Haar trägt er einen blau-roten Turban mit Federschmuck. Diese Farbgebung orientiert sich an der historischen Kleidung des osmanischen Reiches, die von den Farben Rot, Violett, Grün und Gold dominiert wurde. Der schlichte Mantel des Nussknackers erinnert an die traditionellen langärmligen Kaftane osmanischer Männer, die nicht geknöpft und zumeist offen getragen wurden; allerdings waren sie, insbesondere bei gesellschaftlich höherstehenden Trägern, reich bestickt und verziert. Der Turban stellte das bedeutendste und aussagekräftigste Accessoire des Mannes dar, wobei die Größe, die Art der Wicklung und vor allem die Farbgebung Auskunft über den gesellschaftspolitischen Stand gaben: Der Sultan und die osmanischen Türken trugen weiße Turbane, wohingegen die Araber an ihren bunten Turbanen zu erkennen waren. Stellt der Nussknacker mit seinem zweifarbigen Turban also einen arabischstämmigen Soldaten des osmanischen Reiches von niedrigerem Rang dar? Möglich wäre es. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Herstellung der Holzfigur nicht auf der Grundlage detaillierter Kenntnisse osmanischer Kleidungs- und Modestile erfolgte, sondern vielmehr eine fiktive und klischeehafte Garderobe erdacht wurde, die sich in Teilen auch an europäischen Kleidungsstücken orientierte.

Seinen linken Arm hat der Nussknacker angewinkelt und stemmt die zur Faust geballte Hand entschlossen in die Seite. Die rechte Hand ist bis zur Brust erhoben und umschließt einen verloren gegangenen Gegenstand – vermutlich hielt er einst einen Säbel, eine Lanze oder eine Fahne. Im Gegensatz zu vielen klassischen Nussknackern überzeugt das Oldenburger Exponat unabhängig von seiner Funktion auch als kunstvoll geschnitzte Holzskulptur, die erst auf den zweiten Blick als Nussknacker identifizierbar ist, da der Hebel auf dem Rücken der Figur vollständig in den Falten des Mantels verschwindet. Sogenannte Hebelnussknacker werden als figürliche Dekorationselemente zumeist aus Holz geschnitzt oder gedrechselt, wobei die Nuss durch einen Hebelmechanismus im „Mund“ geknackt wird. Funktionale Nussknacker wie Zangen- und Schraubennussknacker dienen dagegen keinem dekorativen Zweck, sondern werden zielgerichtet als Werkzeug eingesetzt.

Die Geschichte des Nussknackers

Der erste Zangen-Nussknacker wurde vermutlich bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. im antiken Griechenland von dem Philosophen Aristoteles erfunden, der die Hebelkraft zum Knacken der harten Schalen einsetzte. Um 300 v. Chr. wurde in der italienischen Provinz Tarent ein bewegliches Händepaar aus Bronze dafür verwendet, die begehrten Nusskerne freizulegen. Erste Hebelnussknacker aus Holz, die schon bald figürlich ausgeformt und künstlerisch bzw. folkloristisch gestaltet wurden, traten erstmalig im 16. Jahrhundert in Erscheinung. Das Volkskundemuseum Wien verwahrt in seinen Sammlungen eines der ältesten Exemplare dieser Art in Gestalt eines Bettelmönchs aus dem Jahr 1591. Ab 1650 entwickelten sich hölzerne Hebelnussknacker in Trachten und Uniformen vor allem im Berchtesgadener Land im Südosten Oberbayerns zur beliebten Handelsware. Mit dem einsetzenden 18. Jahrhundert begann eine regelrechte Blütezeit des kunstgewerblich produzierten Nussknackers, ursprünglich „Nussbeisser“ genannt, der nun vor allem im Erzgebirge, in Bayern und in Südtirol als Soldat, Gendarm, Förster oder König geschnitzt bzw. gedrechselt wurde. In Süddeutschland entstanden auch erste Nussknacker in Gestalt eines „Türken“, die Ausdruck einer zunehmenden „Orientfaszination“ waren, die unter anderem auf die Reisebewegung dieser Zeit und den einsetzenden Handel mit exotischen Waren zurückzuführen war. Der Blick auf den Nahen Osten bzw. die arabische Welt erfolgte jedoch aus einer eurozentristischen Perspektive und produzierte stereotype Bilder, die sich auf westliche, stark verklärte bzw. romantisierte Vorstellungen stützten und bestehende Machtverhältnisse und -gefälle festigten. Das Narrativ des sogenannten „Orients“, der als fiktive Konstruktion Europas zu einem Mythos stilisiert und als exotischer Ort voller Sinnlichkeit und Abenteuer beschrieben wurde, fand im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts nicht nur Eingang in die europäische Kunst und Literatur, sondern auch in das traditionelle Kunsthandwerk. So transportierten nicht nur hölzerne Nussknacker das Klischee des „Orients“, auch andere dekorative Alltagsobjekte und Möbel oder das Markenzeichen eines deutschen Schokoladenherstellers griffen diese Motivik auf.

Der wohl bekannteste und noch heute verbreitete Entwurf eines Hebelnussknackers – ein Husar in leuchtend roter Uniform – geht auf das Vorbild des Königsnussknackers zurück, der 1870 von dem Kunsthandwerker Friedrich Wilhelm Füchtner (1844–1923) aus Seiffen im Erzgebirge erstmalig gedrechselt wurde. Inspiriert worden war Füchtner wohl von E.T.A. Hoffmanns Märchen „Nussknacker und Mausekönig“ aus dem Jahr 1816, das auch Vorlage für das Märchen-Ballett „Der Nussknacker“ zur Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840–1893) von 1892 war.

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