J. H. W. Tischbein
Der bunte Esel im Zimmer des Poeten (Eselsgeschichte), um 1800
Aquarell, Feder und Bleistift auf Papier, historische Montierung
erworben 1930 als Ankauf
Inv. 15.096
Stefanie Rehm
Ein Zebra in der Kunst um 1800 ist ein seltener und exotischer Anblick – insbesondere vor der Kulisse einer Bibliothek. Das Tier schlüpft hier in die Rolle eines sogenannten „bunten Esels“ im Rahmen einer Erzählung mit dem Titel Eselsgeschichte. Erfinder und Illustrator dieser Geschichte ist Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751–1829), der unter dem Pseudonym Goethe-Tischbein Bekanntheit erlangt hat. Der Oldenburger Hofmaler hatte ein besonderes Faible für humorvolle und satirische Erzählungen. Die Verschränkung von Bild und Text ist Ausdruck seiner eigenwilligen Fabulierkunst und zeigt den Künstler als Malerpoeten. Darüber hinaus war das Zeichnen von Tieren eine seiner persönlichen Leidenschaften.
Die Idee zur Eselsgeschichte sowie erste Skizzen dazu entstanden in den 1780er-Jahren während Tischbeins Zeit in Neapel, wo er die renommierte Position des Direktors der königlichen Kunstakademie innehatte. Wie bei vielen seiner künstlerisch-literarischen Projekte sollte er über Jahrzehnte hinweg immer wieder auf das Thema zurückkommen, und so sind die einzelnen Studien und Textfragmente zwischen 1787 und 1812 entstanden. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1799 intensivierte Tischbein die Auseinandersetzung mit dem Stoff und engagierte nach langer Autorensuche die Schriftstellerin Henriette Hermes, die zu seinen Erläuterungen und Illustrationen ein umfangreiches Manuskript verfasste. Die Suche nach einem Verleger scheiterte jedoch, und so wurde die Eselsgeschichte erst 1987 anlässlich der Ausstellung Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. Goethes Maler und Freund in Oldenburg veröffentlicht.
Das Bild-Text-Werk trägt den etwas umständlichen Titel: Eselsgeschichte oderDer Schwachmatikus und seine vier Brüder, der Sanguinikus, Cholerikus, Melancholikus und Phlegmatikus nebst zwölf Vorstellungen vom Esel. Der Protagonist begibt sich darin auf eine Reise und die Suche nach Glück, wobei er immer wieder Eseln begegnet, die ihm zu neuen Erkenntnissen verhelfen. Die Erlebnisse des Schwachmatikus weisen dabei auffällige Ähnlichkeiten mit Tischbeins Memoiren auf. Die Figuren der Brüder sind nach den Prinzipien der Temperamentenlehre gestaltet und reagieren entsprechend ihrer Veranlagung in den einzelnen Episoden.
Sowohl das Manuskript zur Eselsgeschichte als auch 23 Aquarelle und Gouachen sowie 42 Feder- und Bleistiftstudien sind in der Sammlung des Landesmuseums überliefert. In der Sammlung Online sind die Arbeiten Tischbeins unter dem Stichwort Eselsgeschichte zu finden. Die Darstellungen bewegen sich zwischen Tier- und Genrestücken – je nachdem, ob die Tiere ein menschliches Verhalten an den Tag legen, oder von Personen in alltäglichen wie absurden Szenen begleitet werden. So erzählerisch die fabelartigen Bilder zur Eselsgeschichte sind, so sind sie doch keine reine Bildergeschichte und auf eine literarische Ergänzung angewiesen, gerade was die Moral der einzelnen Szenen betrifft.
Die Illustration Der bunte Esel im Zimmer des Poeten gehört zu einer kuriosen Geschichte, die am Ende des fünften Stückes der Eselsgeschichte vom Schwachmatikus seinen Brüdern erzählt wird und Elemente verschiedener Szenen vereint. Sie spielt im Zimmer eines Poeten, der in der Villa eines Prinzen bei Neapel zu Gast war. Einst diskutierten dort der gelehrte Dichter und ein missgünstiger Haushofmeister über Kunstwerke und antike Gelehrte – in der Gouache zu sehen sind Marmorbüsten von Sokrates, Jesus, Homer und Pythagoras sowie ein Gemälde von Diogenes. Wer der Poet war, wird im Text nicht verraten. Dem Schwachmatikus wird in besagtem Dichterzimmer als neue Attraktion ein „bunter Esel“ vorgeführt. Dieses faszinierende Tier, ein „Zebra von außerordentlicher Schönheit“, wurde von allen Seiten bewundert, während der abgereiste Dichter in Vergessenheit geriet. Für den Prinzen bedeutete die Begeisterung über seine teure Erwerbung großen Ruhm und der Schwachmatikus berichtet: „Der bunte Esel war noch das Wunderbild des ganzen Palastes, selbst der ganzen Gegend. Alles wallfahrte nach dem Stall des Esels. […] kurz, es gab nichts Gesuchteres und nichts Glücklicheres als diesen bunten Esel.“ Doch auch ein exotisches Tier ereilt das Schicksal der Alltäglichkeit und seine Berühmtheit schwand. Der Prinz war sehr enttäuscht über die Entwicklung – nicht jedoch das Zebra, das mit einem einfachen Futtertrog zufrieden war und wenig Notiz vom prachtvollen Ambiente inmitten von Büchern und Kunstwerken nahm. Inzwischen hatte der namenlose Dichter durch seine Werke Unsterblichkeit erlangt und wurde erneut allseits gefeiert. Das Dichterzimmer galt als Tempel und Musensitz und der Prinz fürchtete nun den Spott für das tierische Intermezzo.
Tischbein bedient sich hier einer satirischen Erzählweise in Bild und Text, um die implizierte gesellschaftliche Kritik mit einem Augenzwinkern zum Ausdruck zu bringen. Ihm geht es dabei unter anderem um die Ignoranz und Arroganz des Menschen gegenüber Tieren, um das Interesse am Exotischen sowie die Wankelmütigkeit der allgemeinen Aufmerksamkeit. Er hält den menschlichen Schwächen und der Doppelmoral der Gesellschaft gekonnt und mit Humor den Spiegel vor. Und so notiert die Autorin Henriette Hermes in ihrem Vorwort zur Eselsgeschichte zu Tischbeins Ansinnen: „Er wollte das verkannte Nützliche heben und gab daher der stillen scheinlosen Tugend eines nützlichen, aber verachteten Tieres einen jener Tugend angemessenen Wert […]. Das Geringe, Nützliche stellte er in dem Bilde eines Esels auf; das Große und Schöne zeigte er in der Gottheit und in der Kunst, stellte den Menschen in die Mitte und lehrte ihn, das Nützliche zu achten, nach dem Großen zu streben, das Gemeine zu verwerfen und sich von dem täuschenden Glanz einer falschen Größe nicht blenden zu lassen.“