Lili Schultz
Schale „Junge Schlange, den Apfel behütend“, 1957
Maleremail auf Kupfer, versilbert
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 12.104
Zoe Marie Achtsoglou und Juliane Peil
Lili Schultz war eine bedeutende deutsche Künstlerin, die für ihre innovative Emailkunst und ihre außergewöhnlichen Goldschmiedearbeiten bekannt war. Ihre künstlerische Laufbahn begann Schultz zunächst an der Königlich Sächsischen Kunstgewerbeschule in Dresden, da ihr als Frau ein Studium an einer Kunstakademie verwehrt blieb. Anschließend wechselte sie an die renommierte Kunstschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale), wo Schultz von 1915 bis 1918 bei Paul Thiersch, Anna Simons und Maria Likarz studierte. Diese Institution, die 1915 noch Handwerker- und Kunstgewerbeschule Halle hieß, wurde unter der Leitung des neu ernannten Direktors Paul Thiersch u.a. im Sinne der Ideen des Deutschen Werkbundes reformiert. Ein offenes pädagogisches Lehrkonzept förderte fortan die Verbindung von Kunst und Handwerk.
In den Jahren 1918 und 1919 setzte Schultz ihr Studium an der Königlichen Kunstgewerbeschule München bei Fritz Helmuth Ehmcke fort, bevor sie 1921 als Meisterschülerin an die Burg Giebichenstein zurückkehrte. Ihr künstlerischer Werdegang führte sie von 1924 bis 1925 ans Weimarer Bauhaus, wo sie unter namhaften Lehrern wie Paul Klee, Wassily Kandinsky und László Moholy-Nagy in der Metallwerkstatt arbeitete. Diese Erfahrungen ermöglichten Schultz eine Synthese aus der formalen Strenge des Bauhauses und der fantasievollen Positionen, die an der Burg Giebichenstein vertreten wurden.
Ab 1925 unterrichtete Schultz die Gestaltung von Email an der Burg Giebichenstein. Trotz der politischen Umwälzungen durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 und der daraus resultierenden Umstrukturierung der Schule in eine Handwerkerschule blieb Schultz eine zentrale Figur. Im Gegensatz zu anderen Bauhäuslern wurde sie nicht entlassen. Sie weigerte sich aber, der von Direktor Hermann Schiebel beantragten Verbeamtung der Lehrkräfte zuzustimmen und setzte sich für bessere Arbeitsbedingungen ein. Weiteres über ihre Rolle an der Burg während des Nationalsozialismus ist nicht überliefert. Ihre Meisterprüfung als Emailleurin legte Schultz 1935 ab. Sie experimentierte mit mittelalterlichen sowie byzantinischen Techniken, entwickelte eigene Methoden und kombinierte verschiedene Emailtechniken, um ihre künstlerische Vision umzusetzen. Schultz' Schaffenskraft brachte nicht nur die Weiterentwicklung alter Techniken hervor, sondern auch innovative Neuschöpfungen wie das Fugenemail.
Ihre Werke, die oft antike Sagen oder christliche Motive des Mittelalters darstellen, erfuhren große Anerkennung. So erhielt Schultz den Goldenen Ehrenring der Deutschen Gesellschaft für Goldschmiedekunst, der ihr 1957 in Oldenburg verliehen wurde. In ihrer Dankesrede vertrat sie öffentlich ihr Kunstverständnis und deutete an, dass es nach ihrem Empfinden keine künstlerische Zukunft in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) mehr gäbe. Für eine staatliche Professorin an einer ostdeutschen Hochschule war dies eine heikle Aussage, nachdem die DDR ihr Kunstverständnis auf den Sozialistischen Realismus beschränkt hatte. Lili Schultz plante derweil ihre Flucht in die Bundesrepublik Deutschland (BRD). Da ihre Assistentin und Mitbewohnerin Margarete Ernst von ihren Fluchtplänen wusste, floh sie gemeinsam mit Schultz am 16. März 1958 in die BRD. Einen Tag zuvor hatte sich Lili Schultz in einem bewegenden Brief, in dem sie ihre Beweggründe für die Flucht schilderte, von ihren Studierenden verabschiedet. Noch im selben Jahr nahm sie eine Professur an der Werkkunstschule in Düsseldorf an, wo sie ohne ideologische Beschränkungen arbeiten konnte. Mit der wiedergewonnenen künstlerischen Freiheit entstanden weitere bedeutende Emailarbeiten.
Für die Technik des Emails, die auch als Schmelzglas oder Schmelzwerk bezeichnet wird, werden Glas und Metall miteinander verschmolzen. Erste bekannte Arbeiten stammen aus der mykenischen Kunst des 13. Jahrhunderts. Vor allem im Mittelalter war Email ein wichtiger Bestandteil der Goldschmiedekunst und wird bis heute künstlerisch eingesetzt. Besonders für die Kupfer- und Edelmetall-Emaillierung ist die Technik des Schmuckemail geeignet, die etwa eine freie Emailmalerei ermöglicht. Für die Herstellung muss die Metalloberfläche sauber und fettfrei sein, damit das Email gut haften kann. Das Emailpulver wird u.a. aus gemahlenem Glas sowie Farbpigmenten hergestellt und auf das Metall aufgetragen. Anschließend wird das emaillierte Metall in einem Ofen bei Temperaturen zwischen 800° und 900°C gebrannt, wobei das Glaspulver verschmilzt und eine glatte, glänzende Oberfläche bildet. Da sich das Metall beim Abkühlen schneller als das Email zusammenzieht, wird auf die Rückseite des Objekts eine weitere Emailschicht aufgetragen, das sogenannte Contre-Émail. Um Risse oder Verformungen zu verhindern, muss das Objekt nach dem Einbrennen langsam abgekühlt werden.
Die Schale „Junge Schlange, den Apfel behütend“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für Schultz' meisterhafte Anwendung der Emailtechnik. Sie entstand in dem Jahr, in dem die Künstlerin erstmalig den Entschluss fasste, in den Westen zu fliehen. Die Schale zeigt eine Schlange, die sich um einen Apfel windet und ihn festzuhalten scheint. Der Kopf der Schlange und der Apfel befinden sich nahezu in der Mitte des offenen Gefäßes. Die Schlange, die vorwiegend in dunklen Braun- und Blautönen gestaltet ist, bildet das Hauptmotiv des Tellers, während der orangerote Apfel und der blaugrüne Tellerrand einen lebhaften Kontrast schaffen. Durch die reiche Farbnuancierung und die Verwendung leuchtender Farben wirkt die Szene dynamisch und lebendig. Die Schlange symbolisiert die biblische Erzählung des Sündenfalls aus Genesis 3,6. Darin verführt die Schlange Adam und Eva, vom Baum der Erkenntnis im Garten Eden zu essen, was die Verbannung der beiden aus dem Paradies zur Folge hat. Der Apfel wird dabei zum Symbol der Sünde und des Todes, der seit dem 5. Jahrhundert im Westen als verbotene Frucht des Paradieses interpretiert wird. Lili Schultz' Schale „Junge Schlange, den Apfel behütend“ vereint technische Präzision und tiefgehende Symbolik, was sie zu einem herausragenden Werk der modernen Emailkunst macht.
Literatur:
Gerhard Dietrich (Hg.), Farbe und Metall. Kunst aus dem Feuer. Lili Schultz Email im 20. Jahrhundert. Lili Schultz (Schenkung Ragaller) und Schüler, Köln 1991.
Staatliche Galerie Moritzburg Halle – Badisches Landesmuseum Karlsruhe – Burg Giebichenstein (Hg.), Burg Giebichenstein. Die hallesche Kunstschule von den Anfängen bis zur Gegenwart, Berlin 1993.