Zwei Wanderstöcke mit Souvenir-Schildern
Deutschland, 1950-1959
Holz, Blech
Erworben 2007 als Schenkung aus Privatbesitz
Inv. 28.015a-b
Yasmin Maaß
Ein bekanntes Reisezitat lautet: „Nur wo Du zu Fuß warst, bist Du auch wirklich gewesen.“ Es wird Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) zugeschrieben, obwohl das Zitat vermutlich nicht von ihm stammt. Dennoch spiegelt es eine spannende Entwicklung seiner Zeit wider: Zu Fuß gehen war zuvor meist zweckgebunden. Schäfer hüteten mit ihren Hirtenstäben ihre Tiere, Pilgernde reisten mit ihren Pilgerstäben zur Bekundung ihres Glaubens oder Gesellen gingen mit einem Stelz auf die Walz. Doch im 18. Jahrhundert wuchs das Interesse am Bildungsgang in die Natur. Neben dem Naturerlebnis spielten Körper- und Gesellschaftserfahrung sowie eine Auseinandersetzung mit der Umgebung im ästhetischen Genuss und Forschungsdrang eine Rolle.
Ein wichtiger Begleiter bei solchen Naturausflügen war der Stock. Er diente der Entlastung der Gelenke oder als Verteidigungswaffe wie beim später beliebten Canne de Combat (Spazierstockfechten). So beginnt auch das Gedicht „Urians Reise um die Welt“ (1785) des Lyrikers Matthias Claudius (1740–1815) mit bekannten Versen:
Wenn jemand eine Reise thut,
So kann er was erzählen.
Drum nahm ich meinen Stock und Hut
Und thät das Reisen wählen.
Dennoch war die Fußreise noch nicht im Großteil des Bürgertums verbreitet, sondern gewann erst in der Romantik ab dem Ende des 18. Jahrhunderts an Popularität. Sie stellte der hektischen Stadt ein romantisiertes Naturerlebnis gegenüber. Der Gang in die Natur wurde zu einem Teil des bürgerlichen Lebens, wobei sich die gesellschaftliche Stellung weiterhin in Kleidung, Körperhaltung und modischen Accessoires wie dem Spazierstock zeigte.
Detail-Ansichten von einigen Stocknägeln, Deutschland 1950–1959, Inv. 28.015a–b: Baltrum, Hermanns-Denkmal, Husum, Berchtesgaden, Scheffau am Wilden Kaiser, Stuttgart–Killesberg, Hohensyburg, Kahler Asten, Monschau/Eifel, Adlerwarte Berlebeck, Hilchenbach und Wilsede Naturschutzpark Lüneburger Heide (links nach rechts und oben nach unten)
Mitte des 19. Jahrhunderts begünstigte der Ausbau von Eisenbahn- und Dampfschiffstrecken die Entwicklung neuer Reiseformen wie der „Sommerfrische“, des Seebadtourismus sowie des alpinen Bergtourismus. Eine Grundlage hierfür bildeten Vereine wie Tourismus- und Verschönerungsvereine. So erschloss der 1869 in München gegründete Deutsche Alpenverein die Natur touristisch durch den Bau von Schutzhütten, Wegen und der Ausbildung von Bergführern. Bis Ende des 19. Jahrhunderts blieben solche Vereinsmitgliedschaften und Reisen jedoch zunächst nur dem Adel sowie Bürgertum vorbehalten. Durch die Gründung „Der Naturfreunde“ 1895 in Wien und die Entstehung der Wandervogelbewegung um 1896 weitete sich der Wandertourismus auch auf andere Bevölkerungskreise aus.
Auch die „Sommerfrische“ war zunächst ein bürgerliches Phänomen. Der Begriff ist seit 1850 im Deutschen geläufig und umfasst auch die besonders seit den 1870er-Jahren mittelständische Familien, die sich in gemieteten Häusern oder Zimmern auf dem Land erholten. Während Familienausflügen wurde dann die nähere Umgebung beispielsweise durch die Eisenbahn erkundet. Diese Urlaubsform blieb bis in die 1950er-Jahre modern.
Doch wie konnten die Reiselustigen zeigen, wohin es sie verschlug? Eine Lösung bieten Stocknägel – Metallplaketten, die mit Nägeln am Wanderstock befestigt werden und als Souvenir oder Sammelobjekte dienen. Die zwei Wanderstöcke aus den 1950er-Jahren aus der Sammlung des Landesmuseums Kunst & Kultur Oldenburg zeigen, dass sie nicht nur Zeugnisse von Naturerlebnissen wie dem Wilsede Naturschutzpark Lüneburger Heide, sondern auch von dem Besuch anderer Sehenswürdigkeiten wie dem Hermanns-Denkmal im Teutoburger Wald (siehe Abb. 2–3) sein können.
Stocknägel haben vermutlich mittelalterliche Wurzeln. Ihre Gestaltung ähnelt Wappen, die spätestens seit dem 13. Jahrhundert im lateinisch-christlichen Raum zur Identifikation von Städten, Familien und Körperschaften dienten. Darüber hinaus gab es Pilgerzeichen aus Blei und Silber, die im 15. Jahrhundert an Wallfahrtsorten wie Einsiedeln angeboten wurden. Diese Zeichen konnten an der Pilgerausstattung befestigt werden. Sie dienten als Beleg für die absolvierte Pilgerreise und hatten eine religiöse Bedeutung.
Bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts lassen sich Stocknägel in ihrer heutigen Form finden. Zentral sind hierbei von Anfang an die Ortsnamen, die eine eindeutige Zuordnung der Plaketten gewährleisten. Die heraldisch geformten Stocknägel auf den Wanderstöcken der 1950er-Jahre sind reliefartig, monochrom oder bunt gestaltet. Sie zeigen die regionalen „Highlights“ wie Architektur, Berge oder das Meer. So sind auf den Plaketten der Ostfriesischen Inseln Baltrum und Wangerooge sowohl architektonische Sehenswürdigkeiten wie die Inselglocke (Baltrum) und der Westturm (Wangerooge) als auch maritime Motive abgebildet. Solche mitunter reduzierte Darstellungen verweisen auf die Selbstdarstellung eines Ortes oder einer Region.
So ist der Westturm für die Insel Wangerooge bis heute ein markantes Bauwerk der Insel, das bei gutem Wetter bereits vom Festland aus sichtbar ist. Die oldenburgische Insel Wangerooge war bereits seit dem 19. Jahrhundert als Badeort bekannt. Auf der Insel entwickelte sich 1804 ein regulärer Badebetrieb, der zwar in der Zeit der napoleonischen Herrschaft (1811–1813) unterbrochen wurde, aber unter Peter Friedrich Ludwig (1755–1829) auf Anraten des Arztes Johann Ludwig Chemnitz weiter ausgebaut wurde. Sturmfluten 1854/55 zerstörten Häuser der Insel und der Badebetrieb wurde erst um 1866 wieder aufgenommen. Die Fluten beschädigten auch den zweiten Westturm, der 1914 schließlich gesprengt wurde. 1932/33 errichtete der Oldenburger Turnerband einen neuen Westturm, der auf dem Stocknagel zu sehen ist.
Derzeit sind Stocknägel seltener in Souvenirshops zu finden. Ein Grund könnte die Erfindung der Teleskopstöcke durch die Firma Leki 1974 sein, die in den 1990er-Jahren hölzerne Wanderstöcke verdrängten. Ihre Bauweise erlaubt keine Befestigung von Stocknägeln. Dennoch bleiben sie Teil unseres kulturellen Gedächtnisses.