Ewald Mataré (1887-1965), Tänzelndes Pferd/Chinesisches Pferd, 1943/44
Bronze
Erworben 1946 beim Künster
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 11.024
Jana Schäfer
„Eine Plastik, die im Raum lebt, muss auf Rundum-Ansicht angelegt sein, sie darf nicht durch optische Illusionsmomente oder eine dominierende Perspektive bestimmt sein.“
Diesem von Ursula Geisselbrecht-Capecki beschriebenen Anspruch an Plastiken entspricht der Künstler Ewald Mataré (1887–1965) mit seiner Kleinplastik vollkommen; aus jedem Blickwinkel weiß sein „tänzelndes Pferd“ die Betrachtenden in seinen Bann zu ziehen. Das Pferd ist aus Bronze gefertigt, seine Hufe sind mit einer Grasnarbe verschmolzen. Befestigt ist es auf einer Plinthe, die wiederum so auf einem hölzernen Sockel verankert ist, dass das Pferd leicht und losgelöst von jedem realen Bezug zum Boden scheint. Der Körper schwingt S-förmig, wobei der Schwung aus den zusammengestellten Beinen über die Gliedmaßen des Tieres durch den Torso bis hin zu seinem gebogenen Hals führt. Das Pferd wirkt durch seine in sich geschlossene Komposition ruhig, sogar der Schweif verschmilzt mit dem hinteren rechten Sprunggelenk des Geschöpfes.
Ewald Mataré wurde 1887 bei Aachen geboren und erhielt schon als Schüler Privatunterricht bei dem Bildhauer und Kunstprofessor Karl Krauß (1859–1906). Es folgte ab 1907 eine Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste Berlin bei Julius Ehrentraut (1841–1923) zum Maler. Nach kurzem Studium bei Lovis Corinth (1858–1925) wurde er 1915 Meisterschüler bei dem Historienmaler Arthur Kampf (1864–1950). Er trat 1918 der Künstlervereinigung Novembergruppe in Berlin bei. Sein Sujet umfasste neben der Malerei und der Plastik auch den Holzschnitt. Ab 1922 wendete er sich vermehrt der Plastik zu, wobei er sich besonders häufig mit der Kuh und dem Pferd beschäftigte und sich in die Tradition von bäuerlichen Holzschnitzereien stellte. 1932 wurde er an die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf berufen und lehrte dort bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Die nationalsozialistische Beschlagnahmeaktion „Entarte Kunst“ von 1937 zielte auch auf Matarés Arbeiten, zehn seiner Tierplastiken wurden 1938 in Berlin bei einer Verkaufsausstellung der Reichskammer der bildenden Künste mit beschlagnahmten Werken gezeigt. Mataré erhielt dennoch kein Berufsverbot und konnte sich während der NS-Zeit mithilfe kirchlicher Aufträge über Wasser halten. So schmücken noch heute seine Arbeiten die Innen- und Außenräume von Kirchen, wie etwa die Bronzetüren am Südportal des Kölner Doms. Von 1946 bis 1957 unterrichtete er Bildhauerklassen an der Kunstakademie Düsseldorf. Zu seinen bekanntesten Schülern gehören Joseph Beuys, Paul Grimm und Erwin Heerich. 1965 starb Ewald Mataré im Alter von 79 Jahren unerwartet an einer Lungenembolie.
Das hier ausgestellte Pferd ist eins von 14 Abgüssen, vier von diesen wurden als Nachlass-Güsse nach dem Tod Matarés gefertigt. Dieser Guss wurde bereits 1946 direkt vom Landesmuseum beim Künstler erworben. Die Plastik misst 20,8 cm in der Höhe und ist auf der Unterseite am Bauch signiert mit der Stempelmarke „MATARÉ“, wobei die Buchstaben zu einem Monogramm-ähnlichen Zeichen verschmolzen sind. Der Künstler schuf mit Vorliebe Skulpturen aus Holz, aus denen er dann seine Plastiken entwickelte, die in Bronze gegossen wurden. Hierbei setzte er die Maserungen und Strukturen des Holzvorbilds künstlerisch in Szene - er nannte dies „mit dem Material denken und empfinden“. Nach Sabine M. Schilling entstand das hölzerne Original seines Pferdes 1943 im Zisterzienserkloster Eberbach bei Eltville im Rheingau, welches Mataré während des Zweiten Weltkrieges wiederholt als Zufluchtsort nutzte. Das aus Zedernholz gefertigte „tänzelnde Pferd“ wurde während des Krieges mutwillig beschädigt und später aufwendig durch eine seiner Schülerinnen restauriert.
Auch wenn das hier vorgestellte Pferd aus Bronze gefertigt wurde, kann durch den hölzernen Sockel ein Rückbezug zu seinem ursprünglichen Material vorgenommen werden. Die Bronze hat im Laufe der Zeit eine dunkelbraune Patina entwickelt, als würde sich das Pferd der Farbigkeit des Sockels anpassen. Dabei gibt es keine blank polierten Stellen, einzig die Plinthe, das Maul des Tiers sowie seine Flanken sind abgerieben. Andere Abgüsse seiner Pferdeplastik weisen eine schwarze, hellbraune oder rötlich-bronzene Farbigkeit auf. Während beispielsweise der Abguss im Museum Kurhaus Kleve von Mataré sorgsam ziseliert wurde, um die Oberfläche möglichst glatt wirken zu lassen, sind auf dem Abguss in Oldenburg die Strukturen des Gusses, die das Holz des Vorbildes imitieren sollen, klar erkennbar.
Während die Kuh für Mataré tiefgründig und das Sinnbild für vollendete Ruhe und Würde war, erschien ihm das Pferd oberflächlicher und dem Menschen untertan; an ihm ließen sich die Wesenszüge Anmut, Eleganz und Schönheit ablesen. Die Komposition des Tieres ist reduziert, sie wirkt zeichnerisch und erinnert an die Holzschnitte des Künstlers. Für Mataré galt, dass der Tastsinn ausschlaggebend für die Erfahrung von Materie ist, so dass die weichen Linien in der Oberfläche der Plastik eigentlich zum Anfassen einladen. Wie in seinen Holzschnitten, bestimmen nicht die äußeren Faktoren Licht und Schatten seine Plastiken, sondern die in sich geschlossenen, aus dem Körper definierten Formen. Die wenigen ausgestalteten Details wie die kleinen Ohren und Augen, die glatten Hufe, die skizzenhafte Mähne und der Schweif, der in einem Stück bleibt, und auch die angedeuteten Nüstern und das Maul lassen das Pferd zum Ornament werden. Sein ornamentaler Charakter verweist auf den Beinamen „Chinesisches Pferd“: Es handelt sich hier nicht um ein Abbild eines realen Geschöpfes, auch der fließende Rücken, der nicht vorhandene Wiederrist und der viel zu kleine Kopf begünstigen diesen Eindruck. Gerade wegen der anatomischen Freiheiten wirkt es lebendig und grazil. Mataré erforschte das Ornament in seinem künstlerischen Werk weiter und so folgten auch einige auf geografische Formen reduzierte Plastiken auf sein „tänzelndes Pferd“.