Unbekannt
Haarkranz unter Glas, 19. Jahrhundert
Haar, Holz, Glas, Papier, Perlen
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 9.779
Yasmin Maaß
Haare sind Teil der eigenen Identität und können zu Kunstwerken werden, wenn wir sie frisieren oder färben. Dies ist bemerkenswert, da sie zu den Körperorganen gehören, die aufgrund ihrer Empfindungslosigkeit und ihres schnellen Wachstums eher überflüssig zu sein scheinen, zumindest bis wir sie verlieren. Auch persönliche Erinnerungen sind mit Haaren verknüpft. Bis heute bewahren viele Eltern eine der ersten Babylocken ihres Kindes auf. Der Brauch, Haare einer nahestehenden Person aufzubewahren, ist bereites lange ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur.
Schon in der Renaissance wurden Locken als Freundschafts- oder Liebesbekundungen verschenkt. Die Integration von Haar in Schmuckstücken ist ebenfalls für das 16. Jahrhundert belegt. Die Verarbeitung von Haaren als Schmuck und in Form von Bildern war seit dem 18. Jahrhundert eine gebräuchliche Praxis. Getragen werden durfte beispielsweise in England im 19. Jahrhundert nur Haar- und Kohleschmuck im Trauerfall. Genutzt wurden hierfür die Haare von Lebenden oder Sterbenden, nicht aber Toten, da diese mit Aberglauben sowie Leichenschändung behaftet waren. Besonders auffällig unter den Haarobjekten aus dieser Zeit sind die gerahmten Haarbilder.
Haarbilder können unterschiedliche Formen annehmen: Die Haare wurden auf Bilder gestickt, zu Blumen und Kranzgeflechten geflochten oder zu Haarsandbildern verarbeitet, bei denen das Haar so fein wie Sand gemahlen wurde. Typologisch lassen sich unterschiedliche Formen der Gestaltung feststellen. Beispielsweise kann zwischen Blumengebilden – zumeist in Kranzanordnung oder als Bouquet – sowie szenischen Darstellungen in Verbindung mit anderen Materialien, wie etwa einer Friedhofszene, unterschieden werden. Diese Bilder wurden mithilfe von Draht in Schlingen- und Schlaufentechnik arrangiert, mit Perlen verziert und prächtig gerahmt. Anschließend fanden sie ihren Platz in bürgerlichen Wohnzimmern. Hier verwiesen Haarbilder auf die Empfindsamkeit und die Gefühlswelt der Bewohnenden. Sie erlebten ihre Blütezeit in der Romantik und im Biedermeier.
Im 18. Jahrhundert wurden Haarbilder zumeist zu Hause hergestellt, wodurch eine noch engere Beziehung zu dem erzeugten Bild entstand. Mit dem Aufkommen einer regelrechten internationalen Mode im 19. Jahrhundert wurden sie an Handwerker:innen weitergegeben, die neben Perücken auch Haarbilder herstellten. Die Entwicklung von Flechtmaschinen ermöglichte Ende des 19. Jahrhunderts schließlich die Massenproduktion. Hierzu mussten die Haare an die entsprechende Fabrik übersendet werden. Dadurch entstanden bei den Beauftragenden öfters Unsicherheiten darüber, ob es sich tatsächlich noch um die gesendeten Haare oder die einer anderen Person handelten, wenn sie ihr Haarbild zurückerhielten. Dies ist eine der Theorien für das Verschwinden dieser Mode im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts.
Auch in den Sammlungsbeständen des Landesmuseums Kunst & Kultur Oldenburg finden sich Haarbilder. Obwohl über sie wenig bekannt ist, erzählen sie ihre jeweiligen Geschichten. Beispielsweise berichten sie von familiären Verflechtungen und Verbindungen, indem die Haare mehrerer Generationen von Familienangehörigen verarbeitet wurden. So sind bei einem der Haarbilder dunkelbraune bis braune Haare auf Moiré-Papier zu einem Halbmond arrangiert. Inschriften verweisen auf die Herkunft der Haare, die demnach von den Großeltern und den Eltern sowie zwei Personen mit den Namen Helene und Heinrich stammen. Ähnlich einem Familienstammbaum verbinden sich hier die Generationen miteinander. Sie umranken eine Trauerweide, die aus hellblonden Haaren gefertigt wurde. Unter sie wurde ein Namensschild geklebt, das Hinweise auf den Anlass des Haarbildes gibt: „Bertha, geb. den 22. Sept. 1863, gest. 25. Decb. 1868“. Wahrscheinlich wurde es als Andenken zum Tod der fünfjährigen Bertha hergestellt. Die Flechtung der Haare verweist auf die familiären Beziehungen und unterstreichen die Trauer um das Mädchen. Dieser Trauerbezug wird durch die dunkle Fassung aus Kaliko um den Goldrahmen optisch verstärkt.
Ebenso verweist auch das ausgestellte Haarbild auf familiäre Beziehungen. In diesem Bild umschließt ein Kranz aus Haaren verschiedener Farben und Texturen einen kleinen Blütenzweig. Die geflochtenen und gebundenen sowie mit Perlen und Bändern verzierten Haare erinnern an einen Brautkranz. Das Bild symbolisiert so die verwandtschaftlichen Verbindungen zwischen den Beschenkten und den Schenkenden sowie den Anlass der Anfertigung: Das Haarbild wurde zur Goldenen Hochzeit von Johann Christoph Bruns (1797–1883) und Anna Magdalena Lücken (1804–1883) aus den Haaren ihrer acht Kinder und eines Enkelkinds hergestellt. Der Kranz ist auf einem festen Papier befestigt. Der vergoldete Holzrahmen unterstreicht den emotionalen Wert, der diesem Objekt beigemessen wurde. Eine Öse am Rahmen ermöglicht dessen Hängung an der Wand.
Das Objekt stammt aus dem Großherzogtum Oldenburg. Die Familie aus Brake ließ das Haarbild in der Oldenburger Buchbinderei P.F.L. Timpe in der Wallstraße rahmen, die 1848 von dem Hofbuchbinder Günter Timpe gegründet wurde. Ein weiteres Beispiel für die Buchbindearbeit dieser Werkstatt ist eine Mappe mit rotem Kunstlederbezug sowie einer Gold- und Schwarzprägung, die für die Fotografien der großherzoglichen Zimmer im Prinzenpalais von Franz Titzenthaler (1837–1900) angefertigt wurde.