Zwei Meter hoch und sechs Meter breit: Um das Gemälde überhaupt lagern zu können, wurde es auf
eine eigens angefertigte Trommelkonstruktion aufgerollt.
Ein Jahrhundert lang blieb der Palma im Depot und war den Forscher:innen
nur durch eine alte Schwarzweißabbildung bekannt.
2019 wagten es die Restaurator:innen, das Gemälde vorsichtig abzurollen, und erstmals kamen die eindrucksvollen Farben zum Vorschein – aber auch die Schäden, die über die Jahre entstanden sind.
VON DER ROLLE
Die Restaurator:innen beim vorsichtigen Abrollen des Gemäldes
WO ALLES BEGANN
Die heute nicht mehr existierende Kirche S. Domenico in Brescia auf einer Fotografie von 1883
Aus zeitgenössischen Quellen geht hervor, dass der Bischof von Brescia in den 1620er Jahren die Ausstattung der Rosenkranzkapelle der Kirche S. Domenico bei dem venezianischen Meister Palma Il Giovane in Auftrag gab.
Mit ihren abgeschnittenen Brüsten auf einer Schale sieht man die Heilige Agatha von Catania, die den Heiratsantrag des heidnischen Statthalters von Sizilien, Quintianus, zurückwies. Nachdem er sie dreißig Tage in ein Freudenhaus steckte und sie sich noch immer nicht von ihrem Glauben trennen wollte, ließ er ihr die Brüste abschneiden und sie mit brennenden Fackeln martern. Zwar heilte sie nachts der heilige Petrus, doch starb sie am folgenden Tag, als man sie auf glühende Kohlen und Glasscherben legte.
Der Heilige Dominikus gründete im 13. Jahrhundert in Frankreich den Bettelorden der Dominikaner, der sich schnell in ganz Europa verbreitete. Er wird – wie auch in Palma il Giovanes Gemälde – in der Kunst meist in der typischen Dominikanertracht aus weißem Gewand und einem dunklen Schulterüberwurf.
Jesus Christus wird hier als Weltenrichter dargestellt. Auf der verloren gegangen unteren Hälfte des Gemäldes sah man Seelen, die zum Gottessohn und den ihn umgebenden Heiligen und Aposteln beteten. Auch in anderen Werken Palma Il Giovanes findet sich die gleiche Christus-Figur.
Der Verfasser des Johannes-Evangeliums gilt als der Lieblingsjünger Jesu und als einziger der 12 Apostel, der Jesus bis zum Kreuz folgte. Ihm hatte Christus kurz vor seinem Tod seine Mutter Maria anvertraut, weshalb Palma Il Giovane die beiden Figuren so nah aneinander darstellt. In der westlichen Kunst findet man ihn oft im roten Umhang und als einzigen der Apostel meist bartlos, da er zu Jesu Lebzeiten noch sehr jung gewesen sein muss.
Johannes der Täufer wird meist in Fell oder Wolle gekleidet dargestellt, da er Jesus als Lamm Gottes ankündigte. Wichtig ist auch seine Nähe zu Christus im Bild. Sein griechischer Beiname Prodromos bedeutet Vorläufer; nur ein halbes Jahr älter als der Sohn Gottes, predigte Johannes genau wie er vor seinen vielen Anhängern. Jesus selbst empfing von ihm die Taufe und wurde von ihm als der Messias erkannt.
Während der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian soll die Jungfrau Justina von Padua zum Tode verurteilt und noch vor der offiziellen Vollstreckung dieses Urteils von einem Soldaten erstochen worden sein. Daher wird die Märtyrin, wie auch von Palma Il Giovane, meist mit einem Schwert in der Brust abgebildet.
Die legendäre Märtyrin Katharina von Alexandria soll eine hochgebildete Frau gewesen sein, die ihre Gesprächspartner:innen bei Diskussionen über Gott zum Christentum bekehrte. Als sie deswegen zum Tod durch das Rad verurteilt wurde, zerschlug ein Engel das Marterinstrument. Als sie durch ein zweites Rad doch starb, soll Milch statt Blut aus ihrem Körper geflossen sein. In der Kunst findet man sie meist mit Krone, einer Märtyrer-Palme oder dem Rad als Zeichen ihres Martyriums.
Die Heilige Katharina von Siena widersetzte sich mit 12 Jahren einer Heirat und schloss sich stattdessen dem Dominikaner-Orden an. Sehr früh hatte sie erste Visionen, in denen Christus ihr den Brautring reichte, wobei sie seine Dornenkrone nahm, die auch Palma hier darstellt. Bis zu ihrem Tod hielt sie ihre Stigmata, die Wundmale Christi, geheim. Sie diktierte zahlreiche Briefe und Schriften, in denen sie zu theologischen und politischen Fragen Stellung nahm.
Als Lucia von Syrakus das Grab der heiligen Agatha besuchte, verkündete diese in einer Vision ihr das Martyrium, weshalb Lucia ewige Keuschheit gelobte. Ihr bereits versprochener Bräutigam ließ sie in ein Freudenhaus stecken, wo sie jedoch kein Freier beachtete. Sie blieb unverbrannt, als siedendes Öl über sie gegossen wurde. Das Schwert erlöste sie von ihrem Martyrium. Palma Il Giovane stellt sie mit ihren Augen auf einer Schale dar, die sie einer Legende zufolge herausgerissen hatte, um sie ihrem Bräutigam zu schicken.
Als einzige Frau wird Maria, die Mutter Jesu, auf der Seite der Apostel und männlichen Heiligen dargestellt. Dabei steht sie näher als alle anderen Figuren an Christus. Palma Il Giovane malte die Gottesmutter mit Krone, die sowohl ihre Jungfräulichkeit und ihre Rolle als Himmelskönigin ausdrückt.
Maria Magdalena wird von Palma Il Giovane in dem für sie typischen Haarkleid dargestellt. In der Hand trägt die Sünderin ein Salbgefäß, das ihren Weg zum Grab Jesu am Ostermorgen repräsentiert, an dem sie den Gekreuzigten salben wollte, aber ein leeres Grab vorfand.
Saulus, der zunächst die Anhänger Christi verfolgte und auch der Steinigung Stephanus‘ beiwohnte, wurde durch eine Vision, in der ihm Jesus erschien, zu Paulus, dem Apostel. Drei Tage lang war er während dieses Wandels blind, ließ sich daraufhin taufen und hatte maßgeblichen Einfluss auf die Verbreitung des Christentums im 1. Jahrhundert. In der Kunst wird er meist als Prediger mit einem Buch und einem Schwert dargestellt.
So wie Maria zwischen den männlichen Heiligen und Aposteln dargestellt wird, platziert Palma Il Giovane Petrus auf der Seite der weiblichen Heiligen und Märtyrinnen. Sein charakteristischstes Attribut sind die Schlüssel zum Himmel, die ihm von Jesus überreicht wurden. Als erster Bischof von Rom und als der von Christus berufene Leiter und Lehrer aller Christen begründete er das Papsttum.
VON HEILIGEN UND MÄRTYRERN
Palma entschied sich bei der Gestaltung der Kapelle für zwei monumentale Darstellungen mit einem durchdachten ikonographischen Programm. Die „Fürbitte der Heiligen“ zeigt eine Schar von männlichen und weiblichen Heiligen, die von Maria und Petrus angeführt wird. Sie scheinen Christus, der in der mittleren Bildachse auf einer Wolke steht, auf etwas hinzuweisen: die Seelen im Fegefeuer, für die hier Fürbitte gehalten wird.
Palma Il Giovane, Fürbitte der Heiligen, um 1627
EIN GETEILTES SCHICKSAL
Das Fegefeuer war ursprünglich auf einem unteren Bildteil zu sehen. Heute gilt dieser zweite Teil des Gemäldes als verschollen. Das eigentlich doppelt so hohe Werk wurde vermutlich geteilt, als man im Jahr 1883 die Kirche S. Domenico abriss und das Kircheninventar auf dem Kunstmarkt verkaufte.
DER ANDERE PALMA
Das zweite Gemälde, das Palma für die Rosenkranzkapelle schuf, war ebenfalls eine Doppeldarstellung. Im noch erhaltenen, unteren Teil, der sich heute in italienischem Privatbesitz befindet, wird an die Schlacht von Lepanto im Jahr 1571 erinnert.
Mehr über das Gemälde „Die Schlacht von Lepanto“ erfahren
Palma Il Giovane, Die Schlacht von Lepanto, um 1627, Privatbesitz Italien
EIN GETEILTES SCHICKSAL
Bildmontage mit Kupferstich: Palma Il Giovane, Die Schlacht von Lepanto, um 1627, Privatbesitz Italien
In dieser Schlacht konnte die spanisch-venezianische Flotte die gegnerischen Osmanen durch technische Überlegenheit besiegen. Für diesen Sieg vom 7. Oktober wurde von Papst Pius V. das Rosenkranzfest als Gedenktag gestiftet.
Oberhalb der Historienszene befand sich eine heute verschollene Trinität, also die Darstellung von Gottvater, Jesus und Heiligem Geist. Das Bild ereilte das gleiche Schicksal wie das Oldenburger Gemälde: Es wurde horizontal in der Mitte zerteilt, um es verkaufen zu können. Der obere Teil ist nur aus einem alten Kupferstich bekannt.
EIN VENEZIANISCHER MEISTER
Palma Il Giovane, Selbstportrait, ca. 1590–1599, Pinacoteca di Brera, Mailand
Jacopo Palma, genannt Palma il Giovane, war ein italienischer Maler des Frühbarock. Er wurde 1548 in Venedig geboren und starb dort im Jahre 1628. Der Herzog von Urbino förderte ihn einige Jahre und ermöglichte ihm, in Rom zu arbeiten. Obwohl auch sein Vater, Antonio Palma, und sein Großonkel, Palma il Vecchio, malten, orientierte sich Palma il Giovane lieber an den großen Malern des goldenen Zeitalters der venezianischen Malerei: an Tizian, an Veronese und an Tintoretto. Während sein Œuvre sich zu großen Teilen aus christlichen Darstellungen zusammensetzt, malte er ab 1600 auch vermehrt mythologische Szenen. Die meiste Zeit seines Lebens wirkte er in Venedig, wo er mit Aufträgen vor allem von Staat und Kirche sehr gut beschäftigt war.
DER WEG NACH OLDENBURG
Carl Rahl, Bildnis des Großherzogs Nikolaus Friedrich Peter von Oldenburg, 1861, Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Palmas Gemälde „Fürbitte der Heiligen“ kam vermutlich um das Jahr 1890 nach Oldenburg, als der damalige Großherzog Nikolaus Friedrich Peter es in Italien für seine Kunstsammlung erwarb. Einige Jahre zuvor war die Kirche
S. Domenico in Brescia, wo sich das Gemälde bis dahin befand, abgerissen und das Kircheninventar auf dem Kunstmarkt zum Verkauf angeboten worden.
MOMENT DER WAHRHEIT
Im Mai 2019 startete das großangelegte Restaurierungsprojekt „Palma von der Rolle“ mit einem dreiköpfigen Restaurator:innenteam aus Kiel. Ausgangspunkt war das vorsichtige Abrollen des Gemäldes von der Trommel. Bis dahin waren nicht nur die Farben des Gemäldes unbekannt, sondern auch der Zustand des Bildes. Die erste Schadenskartierung gab Entwarnung: Es sind keine größeren Schäden an dem 400 Jahre alten Werk festzustellen.
UNTER DER OBERFLÄCHE
Die Restaurator:innen tragen den Firnis ab
Die Restaurator:innen entfernten zunächst auf der gesamten Fläche des Gemäldes den Firnis – also die letzte, farblose Schutzschicht. Die freigelegten Stellen machten deutlich, wie stark vergilbt der Firnis war. Außerdem wurden Staub- und Schmutzschichten abgenommen, die sich im Laufe der Jahrhunderte abgelegt hatten. Zum Vorschein kamen so immer mehr die leuchtenden Farben, die Palma für sein Werk verwendet hatte.
FIXIERUNG DER DOUBLIERLEINWAND
Detailaufnahme des Gemäldes im Randbereich mit den beiden sich überlappenden Leinwänden
Um die Originalleinwand zu stärken, wurde vermutlich im 19. Jahrhundert eine zweite Leinwand (die sogenannte Doublierleinwand) dahinter geklebt. Die überstehende Doublierleinwand ist an den Rändern des Gemäldes deutlich zu erkennen. Da sie sich an einigen Stellen von der Originalleinwand löste, war eine Fixierung notwendig.
EINE LETZTE REISE
Transport des Gemäldes ins Oldenburger Schloss
Der Gemälde-Riese stellt das Team immer wieder vor logistische Herausforderungen. Nur im zweiten Obergeschoss des Schlosses ist der Platz ausreichend, um den Palma final auszustellen. Ist das Gemälde aber erst einmal auf seinen neuen Keilrahmen aufgespannt, wird es unmöglich, es durch das schmale Treppenhaus des Schlosses zu transportieren.
Mit vereinten Kräften wurde das wieder aufgerollte Bild aus der Restaurierungswerkstatt an seinen Standort im Schloss gebracht, wo die weiteren restauratorischen Maßnahmen erfolgen.
EIN NEUER KEILRAHMEN
Rückseite des Gemäldes mit Spezial-Keilrahmen
Um das Gemälde wieder aufspannen zu können, wurde ein Spezial-Keilrahmen aus Aluminium und Holz konstruiert. Mit fast 700 Nägeln wurde die Leinwand an dem Keilrahmen befestigt. In diesem stabilen Zustand konnte das Werk erstmals wieder aufgerichtet werden.
AUSMESSUNGEN
Kuratorin Dr. Anna Heinze und das Restaurator:innenteam messen den Raum aus
Vorher wurde die Hängehöhe des Gemäldes an der Wand definiert, um die entsprechenden Halterungen anbringen zu können. Da das Bild ursprünglich größer und in der Kirche S. Domenico vermutlich relativ weit oben platziert war, sind die Figuren von Palma auf Untersicht angelegt worden, d.h. in ihren Proportionen perspektivisch verkürzt, damit sie für die Betrachtenden von ihrem Standpunkt aus wieder ausgeglichen wirkten. Dieser Umstand muss bei der Hängung ebenso berücksichtigt werden wie eine stimmige Positionierung auf der Fläche.
EIN SCHUTZ FÜR DIE RÜCKSEITE
Ein Kunstfasertuch schützt die Rückseite des Gemäldes
Auch die nicht sichtbare Rückseite eines so alten Gemäldes muss geschützt werden, was mithilfe eines sogenannten Rückseitenschutzes geschieht, der im Falle des Palma aus einem Kunstfasertuch besteht. Der Rückseitenschutz sichert den Bildträger unter anderem vor Staub und dient der Konservierung des Gemäldes.
NEUER GLANZ
Das Werk und die Arbeitsmittel des Restaurator:innenteams
Zuletzt wird ein transparenter Überzug auf die gesamte Oberfläche des Gemäldes aufgetragen. Der sogenannte Firnis schützt und konserviert die Ölschicht und sorgt durch seinen leichten Glanz dafür, dass die Farben an Strahlkraft und Tiefenwirkung gewinnen.