Die Welt durch die Fotolinse gesehen

Von Italien über Spanien, Nordafrika bis in die USA: Fotos aus aller Welt befinden sich im Bestand des Landesmuseums Oldenburg. Die historische Fotosammlung wurde von Februar bis Oktober 2017 von Miriam Heidemann und Dr. Dirk Richhardt in einem Forschungsprojekt gesichtet und erfasst. Die beiden Wissenschaftler nahmen an der Weiterbildungsmaßnahme "Musealog" teil, die arbeitssuchende Akademiker für die Arbeit in Museen qualifiziert. Was sie über die Fotografien herausgefunden haben, welche besonderen Entdeckungen ihre Arbeit so spannend machten und welche Schwierigkeiten entstehen können, weil eine kleine Laterne fehlt oder der Gondoliere ein anderes Hemd trägt, das erzählen sie im Interview im Juni 2017.

Fotografie im 19. Jahrhundert - wie kann man sich das eigentlich vorstellen?

Heidemann: Fotografie diente hauptsächlich touristischen Zwecken: Seit der Erfindung der Eisenbahn boomte der Reiseverkehr und die Leute wollten Erinnerungen mit nach Hause bringen. Damals war die Technik ja gerade erst in ihren Anfängen und das Fotografieren kam nahezu einer Expedition gleich. Die Fotografen hatten sperrige Holzkisten, in denen sie beschichtete Glasplatten transportierten. Diese dienten als Negative und wurden in den Fotoapparat gestellt und dann belichtet. Wenn der Fotograf ein Detailfoto machen wollte, konnte er natürlich nicht wie wir heute einfach heranzoomen, sondern brauchte lange Objektive. Dadurch wurden die Fotos aber auch sehr genau und detailgetreu.

Richhardt: Fotografieren erforderte also einen ungeheuren Aufwand. Besonders wenn man sich vorstellt, dass die Fotografen mit ihrer ganzen Ausrüstung beispielsweise durch Nordafrika gezogen sind. Die Objekte wurden von Lasttieren transportiert. Bevor ein Foto gemacht werden konnte, musste natürlich erstmal alles aufgebaut werden. Ein schneller Schnappschuss war da undenkbar. Die Belichtungszeit konnte zwischen wenigen Sekunden und mehreren Stunden variieren. Deswegen gibt es aus der Zeit auch kaum Fotos von bewegten Menschen, sondern eher von Bauwerken. Die weichen nicht aus, ziehen keine Gesichter und nörgeln nicht, wenn es mal etwas länger dauert als geplant. Wenn dann doch mal ein paar Touristen vor einem Bauwerk vor die Kamera gelaufen sind, dann sieht man sie nur schemenhaft, denn sie bewegen sich ja. Die Leistung der Fotografen des 19. Jahrhunderts ist sehr beeindruckend und wir verdanken ihnen nicht nur die Weiterentwicklung fotografischer Verfahren, sondern auch ein realistisches Bild auf das, was einmal gewesen ist.


Die Fotosammlung des Museums zeigt also eine große Vielfalt an Motiven aus aller Welt?

Heidemann: Genau, die Abzüge zeigen größtenteils Architektur: wir haben zum Beispiel den Konstantinsbogen in Rom oder die Hagia Sophia in Istanbul, damals Konstantinopel, auf Fotos erkannt. Auch Landschaftsbilder, Fotografien von Gemälden und mitunter sogar von Menschen in Straßenszenen sind in der Sammlung zu finden. Die Fotos, die wir untersuchen, sind eigentlich nur ein Teil des Ganzen. In der Sammlung des Landesmuseums befinden sich noch viele andere Bestände, aber wir beschäftigen uns nur mit den historischen Aufnahmen des 19. Jahrhunderts. Das sind etwa 1.200 Fotos und sie kommen wirklich aus den verschiedensten Ecken der Welt: Am häufigsten aus Italien, oft auch Frankreich, Spanien, der Türkei, Nordafrika oder den USA. Auch aus Mexiko und Großbritannien haben wir gerade einen großen Bestand entdeckt.


Woraus genau besteht die Sammlung?

Richhardt: Die Sammlung beinhaltet ausschließlich Positive, also fertige Abzüge. Interessant wären natürlich auch die Negative, also die beschichteten Glasplatten. Damit könnte man ja noch eine Vielzahl an Abzügen herstellen. Wahrscheinlich existieren die Negative einiger Bilder schon gar nicht mehr. Es ist also umso spannender und wichtiger, dass die Abzüge untersucht und bewahrt werden. Das stellt dann wieder neue Herausforderungen an die Forschung: Beim Erhalten und Restaurieren von Negativen hat man viel Erfahrung, aber das Erhalten und Restaurieren von Positiven ist noch recht unerforscht. Die Abzüge sind anfällig für Schimmelpilze, chemische Zersetzung oder Ähnliches. Wir sind also auf die gängigen konservatorischen Mittel angewiesen: das sorgfältige Verpacken und Sichern des Ist-Zustandes.


Wie kommen die Fotografien in die Sammlung vom Museum?

Heidemann: Das ist eine der Fragen, denen wir nachgehen. Wir können schon gewiss sagen, dass ein sehr großer Teil 1940 über den Nachlass des Oldenburger Kunsthistorikers Heinrich Holtzinger in die Sammlung des Landesmuseums gelangte. Wir können die Anzahl der Abzüge, die aus dieser Sammlung stammen nur schätzen, doch wir gehen so von etwa 1.000 Fotos aus. Genau zuordnen konnten wir bisher über 700. Den Rest erforschen wir noch.


Wie gehen Sie an die Fotos heran?

Richhardt: Als Erstes beginnen wir mit der Bildanalyse: Wer könnte der Fotograf sein? Welches Atelier? Unser Trick dabei: das Bild schwenken und in verschiedenen Lichtverhältnissen betrachten. Dadurch entdecken wir oft versteckte Schriftzüge, Stempel oder Nummern, die auf die Entstehung des Bildes hinweisen. Meistens, wenn der Fotograf irgendwo sein Kürzel hinterlassen hat, taucht in dem Bild dann auch noch die Seriennummer des Fotografen auf - dafür müssen wir oft mit Lupen arbeiten und sehr genau hinsehen.

Heidemann: Wenn wir das Foto einem Atelier oder Fotografen zuordnen konnten, ist ein erster wichtiger Schritt getan, doch wir müssen noch viele weitere Fragen klären: Mit welcher Technik wurde das Foto angefertigt? Und wann? Was ist darauf zu sehen? Dabei sind für uns Vergleichsanalysen besonders aussagekräftig. Wir suchen also sowohl innerhalb der Sammlung als auch im Internet und in Katalogen nach anderen Fotos von den vermuteten Ateliers oder Fotografen.Auch an den Maßen eines Bildes lässt sich einiges ableiten. Wir haben ganz unterschiedliche Bildformate, vom Postkartenmotiv bis zu Abzügen in etwa 20 x 30 cm. Dann folgt die Frage nach dem Material, auf dem das Bild aufgetragen wurde: Ist es auf Karton geklebt? In der Technikanalyse versuchen wir herauszufinden, welche Beschichtung der Glasplatten verwendet wurde, denn jeder Fotograf hat sozusagen seine eigene Rezeptur.

Richhardt: Manchmal muss man sich auch einfach auf ein Bild einlassen und es ganz genau betrachten: Wir haben zum Beispiel ein Bild von der Ponte Vecchio in Florenz. An der Brücke hängt ein Werbeplakat von einem Zirkus, anhand dessen wir ablesen können, dass das Bild 1887 entstanden sein muss. Und Geduld muss man haben. Wir fanden zum Beispiel bei der Vergleichsanalyse einer Aufnahme des Konstantinbogens in Rom ein Foto im Internet, das auf den ersten Blick genau gleich aussah und schon erfasst ist. Bei genauerem Betrachten haben wir dann jedoch entdeckt, dass auf dem Bild im Internet eine kleine Laterne vor dem Bogen stand, die auf unserem Bild nicht abgebildet war. Also mussten wir von vorne anfangen. Ähnliches hatten wir bei einem Bild von einer Gondelfahrt in Venedig: die Perspektive war dieselbe, im Hintergrund sieht man den Dogenpalast. Der einzige Unterschied war, dass der Gondoliere auf unserem Bild eine dunkle Jacke trägt und auf dem anderen ein helles Hemd.


Gibt es Fotos, bei denen Sie durch Ihre Forschungen auf ganz besondere Geschichten gestoßen sind?

Heidemann: Zu den Aufnahmen mit besonderer Geschichte zählt eine Aufnahme von dem Passagierdampfer La Bourgogne. Das war sozusagen die "Titanic des 19. Jahrhunderts". Das Schiff fuhr von Frankreich aus nach New York und kollidierte 1898 mit einem anderen Schiff, woraufhin es sank. Dabei kamen 565 Menschen ums Leben. Das Foto, das wir entdeckt haben, ist vermutlich die letzte Aufnahme des Dampfers. Es zeigt die La Bourgogne vor ihrer letzten Fahrt beim Auslaufen aus dem Hafen in Le Havre. Die amerikanische Flagge am Schiff zeigt, dass sein Zielhafen in Amerika ist. Wir wissen heute, dass das in einer riesigen Katastrophe endete.

Richhardt: Spannend sind auch Aufnahmen von Santa Maria del Fiore, der Kathedrale von Florenz, die von verschiedenen Fotografen und Ateliers aufgenommen wurden. Wir haben Bilder gefunden, auf denen verschiedene Umbaustadien des Doms festgehalten sind: einmal vor dem Umbau, einmal währenddessen mit einem Gerüst vor dem Gebäude und einmal danach, als das Gerüst wieder abgebaut worden war. Für einen Architekten ist sowas natürlich eine Fundgrube: wir können nachverfolgen, wie sich Gebäude verändert haben und im Vergleich von früher zu heute aussahen.

Heidemann: Allgemein spannend für uns ist auch, dass das Foto immer mehr als Kunstwerk und eigene Kunstgattung entdeckt und verstanden wird. Früher war Fotografie viel pragmatischer gesehen und wurde zur Dokumentation oder für kommerzielle Zwecke, zum Beispiel im Tourismus, genutzt. Heute sieht man, dass ganze Fotobestände aufgekauft und präsentiert und von einem völlig anderen Blickwinkel betrachtet werden.


Wie ist der Stand der Dinge?

Richhardt: Wir haben für die historische Fotosammlung eine neue Ordnung geschaffen: die Sortierung nach Fotografen bzw. Ateliers. Gleichzeitig erfassen wir die Fotos nach Merkmalen, die Fragen beantworten können, wie: Gibt es ein Bild vom Konstantinsbogen? Gibt es ein Bild von Giorgio Sommer? Habt ihr eine alte Stadtansicht von Paris? Gibt es Bilder aus der Zeit um 1870? Bis hin zur Größe und Technik eines Bildes versuchen wir, alle Fragen beantworten zu können.
Fast zwei Drittel der vorhandenen Fotografien konnten wir bereits beschreiben und Fotoateliers zuordnen. Unter den bisher erfassten 35 Ateliers, denen die Bestände zugewiesen werden konnten, befinden sich große italienische Namen wie Fratelli Alinari und Edizione Brogi. Zu den bekannten Fotografen zählen zudem James Anderson, Giorgio Sommer und Robert Rive. Unsere Hauptaufgabe bleibt weiterhin die Erfassung und Zuordnung der restlichen Abzüge. Die Arbeit wird jetzt immer kleinteiliger. Alle Erkenntnisse digitalisieren und inventarisieren wir dann in die Datenbank des Museums.

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