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Julian Klein von Diepold, Alte Burg (Försterei) bei Berum, 1922/23

Öl auf Leinwand
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 10.531

Marcus Kenzler

Am 14. Dezember 1941 eröffnete der Oldenburger Kunstverein im Augusteum die dritte „Große Gauausstellung Weser-Ems“, die bis zum 11. Januar 1942 insgesamt 188 Arbeiten aus den Kategorien Malerei, Grafik, Plastik und Kunsthandwerk von 78 Künstlerinnen und Künstlern aus der nordwestdeutschen Region präsentierte. Ideologisch inszenierte, repräsentative Verkaufsschauen dieser Art wurden im Rahmen der jährlich stattfindenden Gaukulturtage und -wochen in allen NS-Verwaltungsgebieten des Deutschen Reichs, den sogenannten Gauen, gezeigt – mit dem Ziel, die nationalsozialistische Kunst-, Kultur- und Weltanschauung zu vermitteln. Angesichts ihrer propagandistischen Bedeutung wurde die Ausstellung Anfang 1942 auch in Groningen in den besetzten Niederlanden gezeigt. Ganz im Sinne der obligatorischen Heimatpflege erwarb das Landesmuseum Oldenburg mehrere Arbeiten aus dieser Gauausstellung, darunter Marie Meyer-Glaesekers „Selbstbildnis“ von 1941 und ihr zuvor entstandenes Stillleben „Blühende Calla mit rotem Stuhl“. Auch das bereits 1922/23 entstandene Gemälde „Alte Burg (Försterei) bei Berum“ des ostfriesischen Landschaftsmalers Julian Klein von Diepold (1868–1947) befand sich unter den Ankäufen. Die Tatsache, dass dieses mit expressivem Duktus gemalte und in seiner Farb- und Lichtwirkung impressionistisch angelegte Gemälde in der Gauausstellung präsentiert und vom Landesmuseum erworben wurde, ist durchaus bemerkenswert. Dem biederen und antiquierten nationalsozialistischen Kunstgeschmack wird es nicht entsprochen haben – ausschlaggebend war wohl eher die ideologische Vereinnahmung Klein von Diepolds als „Heimatkünstler“, der als „Maler Ostfrieslands“ hohes Ansehen genoss.

Liebermann – Gurlitt – Klein von Diepold

Im März 1943 wurde mit dem um 1920 entstandenen Gemälde „Sommertag in der Marsch“ ein weiteres Werk von Julian Klein von Diepold für die Sammlungen des Landesmuseums erworben, das allerdings formal weniger progressiv ist als die „Alte Burg“. Finanziert wurde der Ankauf der beiden Gemälde über den außergewöhnlichen Verkauf des Gemäldes „Reiter am Strand“ von Max Liebermann, der bis heute angesichts der besonderen Umstände Beachtung findet: Die 1909 von Liebermann im südholländischen Noordwijk gemalte Strandszene war durch die Vermittlung des Kunsthistorikers Gustav Pauli (1866–1938), damaliger Direktor der Kunsthalle Bremen, nach Oldenburg gelangt und 1914 vom Galerieverein erworben worden. Das neu eröffnete Landesmuseum präsentierte das Gemälde ab 1923 als Teil der „Galerie der Moderne“ im Oldenburger Schloss, wo es die nationalsozialistische Beschlagnahmeaktion „Entartete Kunst“ von 1937 unbeschadet überstand, obgleich die Werke des jüdischen Malers Liebermann, der mit einem Mal- und Ausstellungsverbot belegt worden war, auf dem Index der braunen Machthaber standen. Zwischen 1938 und 1940 gehörte es sogar zur Ausstattung des „Radetzky-Zimmers“ im Oldenburger Schloss, das als repräsentatives Besprechungszimmer für NS-Funktionäre eingerichtet worden war. Im Frühjahr 1940 ordnete der oldenburgische Minister der Kirchen und Schulen Julius Pauly jedoch die umgehende „Abstoßung“ des Liebermann-Bildes an. So kam eine Anfrage des Hamburger Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895–1956) im Juni 1941 durchaus gelegen, der im Auftrag eines Kunden nach „bedeutenden Bildern von Liebermann“ suchte. Der Handel mit ‚jüdischer‘ Kunst war zu dieser Zeit eigentlich bereits untersagt, allerdings konnte Gurlitt als einer der einflussreichsten Kunsthändler des „Dritten Reichs“ über deutlich weitere Handlungsspielräume verfügen. So verließ der „Reiter am Strand“ im Juli 1941 als letztes Gemälde eines jüdischen Künstlers die Sammlung des Landesmuseums und wurde von Gurlitt an einen Hamburger Versicherungskaufmann vermittelt. Mit dem Erlös des Liebermann-Bildes in Höhe von 5.400 Reichsmark erwarb das Landesmuseum in den folgenden Jahren die beiden Werke Klein von Diepolds.

Von Düsseldorf über Antwerpen und Italien nach Norderney

Der „Maler der glühenden Farben“ Julian Klein von Diepold entstammte einer kunstaffinen Familie, der Vater war als Historien- und Porträtmaler tätig und hatte großen Einfluss auf die künstlerische Entwicklung des Sohnes, die Mutter war eine anerkannte Dichterin. Nach seinem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Hugo Crola und Peter Janssen wechselte Klein von Diepold 1888 an die international renommierte Königliche Akademie der Schönen Künste in Antwerpen, die kurz zuvor auch von Henry Van de Velde und Vincent van Gogh besucht worden war. Er unternahm zahlreiche Reisen durch Belgien und Frankreich, machte sich mit der Pleinair-Malerei des französischen Impressionismus vertraut und lebte ab 1893 an der Riviera, in Florenz, Rom und Genua. Er heiratete die Italienerin Ida Bianchi, verdiente sich als Porträtist des italienischen Adels und studierte die italienische Landschaft, wobei ihn die besonderen Licht- und Luftverhältnisse und die intensive Mittelmeersonne besonders interessierten. Nachdem er 1914 nach Berlin übergesiedelt war und sich ausgiebig mit den Positionen deutscher Impressionisten wie Liebermann und Corinth auseinandergesetzt hatte, besuchte er 1919 erstmalig Ostfriesland, dessen weite Landschaft ihn an Flandern erinnerte und nachhaltig beeindruckte. Er bereiste in den folgenden Jahren wiederholt die Region, malte zahllose Landschaftsbilder und lernte Margarethe Iderhoff kennen, die einer ostfriesischen Häuptlingsfamilie entstammte. Nach der Scheidung von seiner ersten Frau heiratete er Margarethe und siedelte mit ihr nach Norderney über, wo er bis zu seinem Tod lebte.

Die stimmungsvolle Inszenierung der ostfriesischen Residenz

Zu Beginn der 1920er Jahre malte der passionierte Landschaftsmaler Klein von Diepold mindestens drei Ansichten der mächtigen „Vorburg Berum“, die den Westflügel der ehemals imposanten Residenz der ostfriesischen Häuptlinge und Grafen im Landkreis Aurich, etwa sechs Kilometer östlich von Norden, hinter einem doppelten Ringgraben schützte. Die alte Häuptlingsburg war unter dem ersten Grafen Ostfrieslands, Ulrich I., und später unter Graf Edzard II. und Fürstin Christine Charlotte erheblich erweitert und im frühen 18. Jahrhundert zu einer repräsentativen, vierflügeligen Schlossanlage ausgebaut worden. Die künstlerischen Ansichten der Vorburg befinden sich heute in den Sammlungen des Landesmuseums Oldenburg, der Ostfriesischen Landschaft und der Stadt Emden. Die Oldenburger Variante zeigt lediglich den rechten Abschnitt der Vorburgfassade mit dem barocken Eingangsportal, der linke Teil mit Turm bleibt dagegen verborgen. Auffallend und gleichermaßen reizvoll ist das kräftige Leuchten der pastos aufgetragenen Farbe und der impulsive, expressionistisch anmutende Duktus, der dieser beschaulichen Landschaftsidylle Lebendigkeit und emotionale Kraft verleiht. Unverkennbar sind hier die Einflüsse van Goghs und Corinths. Offenkundig zutage tritt Klein von Diepolds Studium der impressionistischen Freiluftmalerei und die Faszination für die mediterranen Lichtverhältnisse, die hier ihre Entsprechung finden: Die Berumer Vorburg wird von hellem Sonnenlicht beschienen, das das ockerfarbene Mauerwerk, die roten Dachziegel und das satte Grün der umgebenden Vegetation erleuchten und stimmungsvolle Helldunkelkontraste entstehen lässt. Bemerkenswert ist auch die gekonnt in Szene gesetzte Spiegelung der expressionistisch ausgeführten Fassade in der Wasseroberfläche des Grabens am vorderen Bildrand. Die „Alte Burg bei Berum“ dient als Beleg dafür, dass es dem vielgereisten und weltgewandten Julian Klein von Diepold gelungen ist, als „Maler Ostfrieslands“ beeindruckende Landschaftsbilder zu schaffen, ohne dem Stil einer provinziellen Heimatmalerei zu verfallen.

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