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Kabinettschau im Prinzenpalais

Lange Zeit galt der Wald vor allem als Ort von Gefahren. Mit dem Beginn der Romantik am Ende des 18. Jahrhunderts und der fortschreitenden Industrialisierung wurden die Waldflächen zunehmend erschlossen.

Als Sehnsuchts- und Rückzugsort idealisiert, bildete der Wald nun einen Gegenpol zur industriell-urbanen, maschinengetriebenen Zivilisation. Beginnend mit der Wilhelminischen Ära (1890–1914), aber vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945), wurde der „deutsche Wald“ politisch instrumentalisiert und als Projektionsfläche nationalistischer, rassistischer und biologischer Auffassungen genutzt. In den 1950er und 60er Jahren diente er vor allem als romantisches Postkartenidyll und als Kulisse von Heimatfilmen. Spätestens seit den 1980er Jahren nutzen kritische Stimmen den Wald immer wieder als Sinnbild für Umweltzerstörung und Klimawandel.

Durch die vielfachen Zuschreibungen, die der Wald kontinuierlich erfuhr, spielte er auch in verschiedenen Kunstgattungen eine wichtige Rolle. Seit der Romantik findet sich die tiefe Verbundenheit mit dem Wald – sei es emotional, symbolisch oder kulturell – nicht nur in unzähligen Märchen, Mythen und Erzählungen, sondern auch als Bildmotiv in der Kunst wieder. Somit wurde der Wald zu einem eigenständigen künstlerischen Thema, das auch von den hier vertretenen Künstler:innen häufig aufgegriffen wurde. Die Kabinettschau vereint Werke aus dem 19. und 20. Jahrhundert und lädt Sie zu einem malerisch-poetischen Spaziergang ein.

Erfahren Sie mehr über ausgestellte Werke und Themen der Ausstellung

Bis in das 19. Jahrhundert hinein wurde der Wald selten als Hauptmotiv künstlerischer Darstellungen gewählt, sondern diente vielmehr symbolisch-metaphorischen Verweisen, um z.B. das Paradies oder die Wildnis anzudeuten. Auch in Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins Zeichnungen bietet der Wald für die Illustrationen zu den Liedern des Ossian eine mythische Kulisse. Als Schöpfer des Mythos gilt James Macpherson, der auf der Suche nach einer nationalen schottischen Vergangenheit den Auftrag bekam, gälische Dichtungen zu übersetzen. Er beließ es jedoch nicht bei einer reinen Übersetzung, sondern passte die keltischen Gesänge an den Zeitgeschmack des 18. Jahrhunderts an. Dabei täuschte er vor, dass die Geschichten aus der antiken schottischen Mythologie von Ossian, einer Figur aus der schottisch-gälischen Mythologie, stammten. Das Thema der ossianischen Gesänge fand als romantische Naturpoesie schnell zahlreiche Niederschläge in der bildenden Kunst und Literatur. Angelehnt an die ossianischen Dichtungen, verfasste Tischbein um 1805 einen eigenen Ossian-Zyklus, zu dem er sechs lavierte Federzeichnungen schuf:

Elexina, eine Fürstentochter aus dem Volk der Barden, wurde mit Zorbax, dem strengen Anführer eines Kriegervolkes, vermählt. Ihre Kinder wurden von dem Lehrer Minerall erzogen, der aufgrund seiner seichten Lehrmethoden vom Hofe verjagt wurde. Die leidende Elexina traf Minerall heimlich in einer nahegelegenen Gräberstadt. Von Eifersucht erfüllt, folgte Zorbax seiner Frau und durchbohrte Minerall mit einer Lanze. Elexina wurde trotz Bekundungen ihrer Unschuld von ihrem Mann verstoßen, über Nacht an einen Baum gebunden und von Hunden bewacht. Am nächsten Tag erschien Zorbax mit dem vermeintlich getöteten Minerall und warf ihn vor ihre Füße. Der Verwundete wurde heimlich von einem Barden, einem Sänger oder Dichter aus dem keltischen Kulturkreis, gepflegt. Wieder genesen, traf er im Wald auf die klagende Elexina. Das Wiedersehen war jedoch nur von kurzer Dauer, da Minerall dem verzweifelten Vater von Elexina mitteilen wollte, dass diese noch lebte und er sie dafür verließ. Die letzte Szene aus dem Zyklus lässt den Tod der Elexina vermuten, eine literarische Überlieferung des letzten Teils des Manuskripts ist nicht mehr vorhanden.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein war ab 1808 als Hofmaler und Galeriedirektor am Oldenburger Hof beschäftigt. Außerdem unterrichtete er die Söhne des Herzogs Peter Friedrich Ludwig im Zeichnen. Die Stimmung der Bildszenen mag an den Idyllenzyklus im Oldenburger Schloss erinnern.

 

Mit den gesammelten Märchen der Brüder Grimm wurde ein Bild vom Wald und seinen Bewohner:innen geschaffen, das bis heute unser Verständnis prägt. So kann er entweder als geheimnisvoll und verwunschen oder als düster und gefährlich wahrgenommen werden. In fast der Hälfte der rund 200 Grimmschen Märchen, die ursprünglich für Erwachsene und nicht für Kinder gedacht waren, spielt der Wald – entweder als Zufluchts- oder Gefahrenort – eine ambivalente Rolle. In den Märchen treffen die Hauptfiguren oft auf zwielichtige oder magische Gestalten, müssen Ängste und Herausforderungen überwinden und wachsen schließlich über sich selbst hinaus: Rotkäppchen begegnet einem hinterlistigen Wolf, Schneewittchen flüchtet vor ihrer bösen Stiefmutter und Gretel rettet ihren Bruder Hänsel vor einer Hexe, nachdem sie sich im Wald verlaufen haben.

 

Der in Offenbach geborene Julius Preller war von 1857 bis 1884 im Eisenwerk Varel als Ingenieur, später als Direktor, tätig. In seiner Freizeit widmete er sich der Landschaftsmalerei und unternahm – v.a. nach Aufgabe seiner Festanstellung – zahlreiche Studienreisen durch Deutschland und ins Ausland. Tief mit der Region um Varel verwurzelt, engagierte er sich für die lokale Kulturszene und den Naturschutz.

So fand Preller in der umliegenden Landschaft Inspiration für seine Werke. Das vorliegende Ölgemälde zeigt eine Waldlichtung im Neuenburger Urwald, der bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts das Ziel von Maler:innen war. Der Wald liegt etwa 35 Kilometer nordwestlich von Oldenburg und gehört heute zum Naturschutzgebiet Neuenburger Holz, das mehr als 700 Hektar umfasst. Der Neuenburger Urwald ist ein ehemaliger Hutewald, d.h. er diente als Weidefläche für Nutztiere wie Rinder und Pferde. Heute zeichnet sich das Waldgebiet durch seine bis zu 800 Jahre alten Eichenbäume aus, die angelegt wurden, um die Fütterung des Viehs zu gewährleisten. Die Nutzung als Weidefläche und das beträchtliche Aufkommen von Totholz werden durch Prellers gewählte Motive – zwei Baumruinen und weidende Kühe – sichtbar.

 

Ein Urwald, auch Primärwald genannt, bezeichnet ein unberührtes, natürlich gewachsenes Waldgebiet, das nicht vom Menschen bewirtschaftet bzw. beschädigt wurde. Während vor 6.000 Jahren noch fast 80 Prozent der Fläche Europas von Wald bedeckt wurden, sind es heute etwa 40 Prozent. Nicht einmal mehr als 0,2 Prozent der gesamten Fläche des Kontinents sind derzeit von einem Urwald bedeckt.

Auch die Geestlandschaft zwischen Weser und Ems war bis zum Mittelalter ein geschlossenes Waldgebiet. Der sogenannte Neuenburger Urwald ist aufgrund der jahrhundertelangen Nutzung kein Urwald, sondern vielmehr ein Naturwald. Graf Anton Günther von Oldenburg untersagte 1654 zwar jegliche wirtschaftliche Nutzung, nach seinem Tod wurde der Neuenburger Urwald dennoch unkontrolliert abgeholzt. Seine heutige Form entstand erst ab 1780.

 

Ernst Wilhelm Dietrich Willers studierte an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er Freundschaft mit Johann Wilhelm Schirmer schloss. 1824 ging der in Oldenburg geborene Maler – mit finanzieller Unterstützung des Großherzogs Peter Friedrich Ludwig – nach Dresden und setzte seine Ausbildung bei Johann Christian Clausen Dahl fort. Bei ihm vertiefte Willers seine Auffassung des Motivs Landschaft und kam mit der Ölskizze en plein air (frz. „im Freien“) in Berührung. In dieser Zeit sind vermutlich auch die vorliegenden Kleinformate entstanden.

Willers widmete sich zeitlebens der Landschaftsmalerei. Mit einem weiteren Stipendium reiste er 1835 nach Italien, das bis 1861 seine Wahlheimat werden sollte. Zwischenzeitlich unternahm Willers Studienreisen nach Griechenland, dessen Landschaft sein Spätwerk prägt. Nachdem Großherzog Nikolaus Friedrich Peter ihn 1864 zum Hofmaler ernannte, bat Willers ihn, nach München übersiedeln zu dürfen. Dort lebte er bis zu seinem Tod.

 

Die Fotografie zeigt das Grandhotel Giessbach am Brienzer See in der Schweiz. Erbaut im Jahr 1874, befindet sich das historische Gebäude in abgeschiedener Lage des Naturparks Giessbach. Aufgenommen wurde das Bild von einer erhöhten Position, sehr wahrscheinlich von einer Stufe der angrenzenden Giessbachfälle. Im Zentrum der Aufnahme steht das Hotel, das von einem dichten Wald umgeben wird. Wie die Beschriftung unten links verrät, wurde der Abzug bei dem 1889 gegründeten Schweizer Verlag Photoglob gedruckt.

 

Beide Radierungen – „Die große deutsche Landschaft“ und „Die große italienische Landschaft“ – wurden 1841 von Johann Wilhelm Schirmer für den Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen geschaffen. Die „italienische Landschaft“ basiert auf einer spiegelverkehrten Bleistiftzeichnung aus demselben Jahr. Diese Zeichnung bildete auch die Vorlage für ein Gemälde, das 1842 fertiggestellt wurde.

Im Gegensatz zu vielen anderen Walddarstellungen richten diese beiden den Blick nicht ins Waldinnere, sondern fokussieren eine Waldlichtung bzw. die dahinterliegende Landschaft. Während in der „deutschen Landschaft“ eine Kirche mit Friedhof im Zentrum des Bildes steht, befinden sich im Hintergrund der „italienischen Landschaft“ ein Pferd mit Reiter sowie eine weitere Person. Umrahmt werden die Szenen von Dickicht und alten (Eichen-)Bäumen. Zudem wird in beiden Arbeiten ein Gewässer – ein Waldsee oder -bach – abgebildet, das ein wiederkehrendes Motiv in Schirmers Waldlandschaften ist.

Johann Wilhelm Schirmer absolvierte zunächst eine Lehre zum Buchbinder in der Werkstatt seines Vaters. Parallel verfolgte er sein Interesse für die Malerei und brachte sich autodidaktisch verschiedene Techniken bei. Aufgewachsen in Jülich, konzentrierten sich seine Zeichnungen, Aquarelle und Radierungen zu Beginn auf die ihn umgebende Natur und Landschaft.

Nachdem er seine Ausbildung 1824 abschloss, ging er nach Düsseldorf, wo er Freundschaft mit Ernst Willers schloss. Dort nahm Schirmers Karriere seinen Lauf: Nach dem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie unterrichtete er ab 1831 die neu gegründete Klasse für Landschaftsmalerei. 1855 wurde Schirmer zum Gründungsdirektor der Karlsruher Kunstakademie ernannt.

 

Der in Koblenz geborene Maler Hugo Zieger studierte an der Düsseldorfer Kunstakademie. Dort beschäftigte er sich neben der Historienmalerei mit Akt- und Bildnismalerei. Auf Empfehlung eines Freundes, dem Heimatdichter Georg Ruseler, ging Zieger nach Oldenburg und arbeitete hier seit 1911 als Zeichenlehrer. Anfang der 1920er Jahre ging er für ein paar Monate an die Münchner Kunstakademie, kehrte dann aber nach Oldenburg zurück. Inspiriert von der Landschaft südöstlich der Stadt – vorzugsweise Huntlosen und Dötlingen – schuf Zieger viele Wald- und Heidebilder. 

 

Der Künstler Max Ernst beschäftigte sich zeitlebens mit dem Thema Wald, dem er seit Kindertagen zwiegespalten gegenüberstand. Als sein Vater Philipp Ernst, ein begeisterter Hobbymaler, ihn erstmals mit in den Wald nahm, verspürte Max Ernst sowohl Freiheit als auch Beklemmung. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in seinen Waldbildern, die von subjektiven Erfahrungen und Empfindungen geprägt sind.

Die düster und bedrohlich wirkenden Wälder Max Ernsts sind weder Sehnsuchtsbilder noch ein reales Abbild der Natur. Anstelle von sattgrünen, melancholisch anmutenden Waldlandschaften werden starre und organische Formen zu netzartigen oder skeletthaften Wäldern, die die Betrachtenden kaum zum Verweilen einladen. Dabei verkörpert der dichte, undurchdringliche Wald für Ernst die bisher unberührte und nicht bewirtschaftete Natur.

Ohne die direkte Übersetzung des Werktitels „Forêt et soleil“ (frz. „Wald und Sonne“) wäre es auf den ersten Blick vermutlich nicht ersichtlich, dass es sich um eine Darstellung des Waldes handelt. Es scheint, als würden sich drei Bäume aus dem unteren Bildrand gen Himmel erheben. Auch die feine, detaillierte Holzmaserung unterstützt den vertikalen Bildaufbau, der bereits bei einigen Blättern der Serie „Histoire naturelle“ vorkommt und charakteristisch für Ernsts Bretterwälder ist.

Dies war ein Ausschnitt aus dem Text zum Objekt des Monats Januar (2024).

 

Der in Oldenburg geborene Paul Müller-Kaempff war ein bedeutender Landschaftsmaler seiner Zeit und gilt als Gründer der Künstlerkolonie Ahrenshoop. Sein Studium führte ihn von Düsseldorf über Karlsruhe nach Berlin, wo er schließlich seine künstlerische Ausbildung als Meisterschüler von Hans Fredrik Gude fortsetzte. Auf einer Studienreise nach Wustrow erkundete Müller-Kaempff 1889 gemeinsam mit seinem Freund Oskar Frenzel die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst und entdeckte Ahrenshoop. Tief beeindruckt von der unberührten, schönen Natur zwischen Ostsee und Bodden, zog er drei Jahre später nach Ahrenshoop. 1894 errichtete Müller-Kaempff die Malschule „Villa St. Lucas“, die jeweils von Mai bis Oktober betrieben wurde. Das Künstlerhaus wurde insbesondere von Frauen aufgesucht, da diesen eine akademische Ausbildung im deutschen Kaiserreich verwehrt blieb.

So fand Müller-Kaempff in den Sommermonaten kaum noch Zeit für eigene Projekte und beschäftigte sich fortan intensiv mit den Licht- und Stimmungsverhältnissen im Spätherbst und Winter. Im Oktober 1896 schrieb er an seinen Freund Otto Kaysel: „Ich freue mich nun sehr auf die eigene Arbeit, besonders da die Natur jetzt so stimmungsvoll ist. Ein größeres Bild aus dem Walde, herbstliche Birken und hohe welke Farren […] habe ich schon fertig.“

Ein wiederkehrendes Motiv in Müller-Kaempffs Oeuvre ist, wie bei dem vorliegenden Bild, das Waldesinnere. Die gelben, grünen und rot-bräunlichen Farbtöne verweisen auf die herbstliche Jahreszeit. Im Kontrast zu den leuchtenden Farben stehen die dunklen Baumstämme, die mit Efeu bewachsen sind. Auch die stellenweise mit Farnen bedeckte Wiese – teils noch in frischem Grün, teils verwelkt mit gelben bis bräunlichen Blättern – deutet den Jahreszeitenwechsel an.

 

Anfang des 20. Jahrhunderts sorgten vier Architekturstudenten für tiefgreifende Veränderungen in der Kunst: Ernst Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff gründeten 1905 die Künstlergemeinschaft „Brücke“ (auch „KG Brücke“) in Dresden. Sie zählen zu den Pionieren des deutschen Expressionismus.

Losgelöst von akademischen Regeln, wollten die Autodidakten das subjektive Empfinden erfahrbar machen. Ihre Form- und Bildsprache ist gekennzeichnet von leuchtenden Farben, verzerrten Formen sowie schnellen, intuitiven und breiten Pinselstrichen. Neben der Malerei spielte auch der Holzschnitt eine wichtige Rolle in ihrem Schaffen, denn er ermöglichte ihnen flächige Kompositionen mit kräftigen Konturen und deutlichen Kontrasten.

Parallel zur Industrialisierung und Urbanisierung entwickelte sich eine Gegenbewegung – die Freikörperkultur. Sie ist Teil der Lebensreformbewegung, die sich Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildete und z. B. eine Umstellung bei der Ernährung, den Wohnformen und der Gesundheitspflege anstrebte. Im Vordergrund stand die Rückkehr zur Natur, befreit von jeglichen zivilisatorischen Zwängen und den beengten Verhältnissen in den Großstädten. In der abgeschiedenen und unberührten Natur fanden die Künstler der „Brücke“ ihre Motive. Auch nach der Auflösung der Gruppe im Jahr 1913 blieb das Malen in der Natur eine Maxime der Künstler.

Die Badenden der „KG Brücke”

Die Brücke-Maler, deren zentrales Thema der „freie Mensch in freier Natürlichkeit“ war, frönten der Freikörperkultur. So tummelten die Künstler Heckel, Kirchner und Pechstein sich in den Sommermonaten, gemeinsam mit ihren Modellen, an der Nord- und Ostseeküste sowie an den Moritzburger Teichen bei Dresden.

Mit den unzähligen Bade- und Strandszenen wollten sie nicht nur die enge Verbundenheit von Mensch und Natur darstellen. Das Motiv der Badenden sollte dazu dienen, sich sowohl von akademischen als auch von gesellschaftlichen und moralischen Konventionen abzugrenzen.

 

Gemeinsam mit ihren Freundinnen und Modellen verbrachten die Brücke-Künstler Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel, gelegentlich auch Max Pechstein und Otto Mueller, die Sommermonate von 1909 bis 1911 an den Moritzburger Seen. Dort studierten sie den Menschen in seinen natürlichen Bewegungen und fertigten Skizzen, die sie anschließend im Atelier als Gemälde und Druckgrafiken umsetzten. Heckel erinnerte sich 1958:

„Wenn wir zu den Moritzburger Teichen hinfuhren, geschah dies nicht nur wegen der landschaftlichen Kulisse, sondern vor allem wegen der Natürlichkeit der menschlichen Bewegungen. Wir waren nicht gezwungen, eine gestellte Pose abzumalen, sondern sind dem Leben und dem Leib etwas näher gerückt. [...] Man brachte seine Leinwände mit und malte unmittelbar vor der Natur.“

Um 1910 wurde das neunjährige Mädchen Lina Franziska Fehrmann, von den Malern Fränzi genannt, ein zentrales Modell in Kirchners und Heckels Arbeiten. Im selben Jahr entstand Heckels Lithografie „Szene im Wald (Akte in Waldlichtung)“, in der Fränzi mit unbeholfenen Bewegungen aus einer Hängematte steigt. Im Kontrast zu ihrer zierlichen Gestalt mit eher kantigen Konturen stehen die Körper der anderen abgebildeten Frauen. Den Betrachter:innen mit dem Rücken zugewandt blickt vermutlich Doris Große, genannt „Dodo“, in Fränzis Richtung. Dodo war zu diesem Zeitpunkt Kirchners Modell und Geliebte. Der gewählte Bildaufbau erzeugt sowohl Nähe als auch Distanz. Obwohl die Gruppe aus der Ferne betrachtet wird, ermöglicht die Anordnung der Bäume einen voyeuristischen Blick auf die intime Szene.

Wegen ihrer unverstellten und unverkrampften Bewegungen galt Fränzi den jungen Künstlern als künstlerisch besonders reizvoll und darstellenswert. Sie kam bereits im Sommer 1909 zur Künstlergruppe, d. h. sie war erst 8 Jahre alt als die ersten Aktzeichnungen von ihr entstanden. In überlieferten Briefen tauschten sich Heckel und Kirchner über ihre minderjährigen Modelle aus. Dabei gerieten sie nicht nur ins Schwärmen, sondern äußerten sich auch obszön über sie. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Darstellungen der Kinderkörper, teils in expliziten Stellungen mit den Künstlern gezeigt, kritisch betrachtet werden. Obwohl den Künstlern kein sexueller Missbrauch nachgewiesen werden kann, sollte hinterfragt werden, inwiefern die vermeintlich kindliche Naivität der Modelle von den Künstlern ausgenutzt wurde.

Eine detaillierte Besprechung des Werks bietet Ihnen unser Objekt des Monats März (2024).

 

Max Pechstein schloss sich 1906 der „Brücke“ an. Von 1907 bis 1908 verbrachte er mehrere Monate in Paris, wo er sich intensiv mit dem Fauvismus und Henri Matisse auseinandersetzte. Pechstein, der bereits 1908 von Dresden nach Berlin gezogen war, begleitete im Sommer 1910 Kirchner und Heckel an die Moritzburger Seen, um in der Natur zeichnen zu können. Inspiriert von Matisses Gemälde „Der Tanz“ entstand dort Pechsteins grün und blau kolorierte Lithografie „Der Tanz (Tanzende und Badende am Waldteich)“. Dargestellt sind acht Personen, die sich dynamisch im Wasser und am Ufer des Teichs bewegen. Mit solchen Szenen wollten die Brücke-Künstler die spontane und ungebändigte Lebensfreude der Badenden ausdrücken. Sie spiegeln gleichzeitig auch die Idealvorstellung vom ungezwungenen Leben in der Natur.

Erschienen ist das Blatt in der zwölften Jahresmappe der „Brücke“, die Pechsteins Arbeit gewidmet war. Nachdem dieser an einer Ausstellung der Berliner Secession teilnahm, wurde er im Frühjahr 1912 jedoch aus der Künstlergruppe ausgeschlossen.

Die sieben Jahresmappen der „Brücke“, die zwischen 1906 und 1912 erschienen sind, gelten heute mit ihren insgesamt 26 Blättern als wichtige historische und künstlerische Dokumente des deutschen Expressionismus. Sie geben einen einzigartigen Überblick, wie sich die Bild- und Formensprache der Brücke-Künstler im Laufe der Jahre entwickelte.

 

Der in Jaderberg geborene Jan Oeltjen fand über das Architekturstudium zur Malerei. Nachdem er 1911 seine zweite Ehefrau Elsa Kasimir heiratete, lebten sie gemeinsam für zwei Jahre in Wien. Dort lernte er Vertreter des Expressionismus, wie Oskar Kokoschka, kennen. Oeltjen selbst verfolgte einen gemäßigten expressionistischen Stil sowie formale, harmonische Gestaltungsregeln. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde er 1915 einberufen und war bis zum Frühjahr 1917 in den Vogesen stationiert. Bis zu seiner Entlassung 1918 entstanden über 800 Aquarelle. Hierzu gehören die zwei ausgestellten Arbeiten Oeltjens. Das kleinere Blatt zeigt Soldaten, die sich am Fuße hoher Bäume in den Vogesen in einem Gespräch befinden. Aufgrund der Gegebenheiten war die Auswahl an Materialien begrenzt: Farben, Pinsel und Papier mussten in einem Tornister verstaut werden. Zusätzlich führte der Mangel an Farben dazu, dass die kleinformatigen Aquarelle überwiegend blau-grüne Farbtöne aufweisen.

 

Der Musiker und Maler Hans Trimborn traf sich täglich zum Zeichnen mit seinem Mitschüler Paul Adolf Seehaus, einem späteren Schüler von August Macke. So kam der in Bonn geborene Trimborn früh in Berührung mit dem „Rheinischen Expressionismus“ – einer künstlerischen Bewegung, die den Expressionismus mit der französischen Kunst verband. Auf Wunsch seines Vaters studierte Trimborn zunächst Medizin und arbeitete während des Ersten Weltkriegs als Lazarett-Arzt. In dieser Zeit entstanden seine sogenannten „rheinischen Bilder“, zu dem auch das Gemälde „Waldlichtung mit äsendem Reh“ gehört. Die Werkreihe zeichnet sich durch frische, leuchtende Farben und Blautöne, aus.

 

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