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Seit 2011 untersucht der Provenienzforscher Dr. Marcus Kenzler die vielfältigen Sammlungen des Landesmuseums Kunst & Kultur Oldenburg systematisch auf ihre Herkunft und die Erwerbungszusammenhänge. Von den rund 40.000 Kunstwerken und kulturhistorischen Objekten müssen sämtliche seit 1933 erworbenen und vor 1945 entstandenen Exponate überprüft werden – also rund zwei Drittel der Bestände.

Kontakt

Dr. Marcus Kenzler
Provenienz- und Sammlungsforschung, Archive
0441 40570-407
m.kenzler@landesmuseen-ol.de

Was ist Provenienzforschung?

Die Provenienzforschung ist eine noch junge wissenschaftliche Disziplin, deren vornehmliche Aufgabe es ist, an Museen, Bibliotheken und Archiven die Herkunft bzw. die Sammlungs- und Eigentumsgeschichte von Kunst- und Kulturobjekten zu klären. Neben der Überprüfung von ethnologischen Stücken aus kolonialen Kontexten und Kulturgütern, die aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. der DDR stammen, liegt ein Schwerpunkt in der Auffindung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kunst- und Kulturgut.

Kunstwerke, Bücher, Möbel, Schmuck und Haushaltsgegenstände aus vornehmlich jüdischem Vorbesitz wurden von den nationalsozialistischen Machthabern mit dem Ziel der „Verwertung” beschlagnahmt, unter Zwang oder aus wirtschaftlicher Not von den Eigentümer:innen veräußert oder mussten auf der Flucht zurückgelassen werden. Über den Kunst- und Antiquitätenhandel oder private Verkäufer:innen gelangten zahlreiche dieser Objekte in öffentliche Sammlungen – ihre Herkunft blieb zumeist ungeklärt.

Nachdem 1998 auf der „Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust” von 44 Nationen die „Washington Principles” (Grundsätze der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden) unterzeichnet worden waren, erfolgte im Dezember 1999 die „Gemeinsame Erklärung” von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden, in der die Identifikation und Rückgabe „NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz” als fortwährende Aufgaben für die öffentlichen Einrichtungen in Deutschland formuliert wurden.

Provenienzforschung am Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg

Seit 2011 untersucht der Provenienzforscher Dr. Marcus Kenzler die vielfältigen Sammlungen des Landesmuseums Kunst & Kultur Oldenburg systematisch auf ihre Herkunft und die Erwerbungszusammenhänge. Von den rund 40.000 Kunstwerken und kulturhistorischen Objekten müssen sämtliche seit 1933 erworbenen und vor 1945 entstandenen Exponate überprüft werden – also rund zwei Drittel der Bestände.

Die vielfältige Sammlungsstruktur des Museums, das als klassisches Mehrspartenhaus sowohl regionales als auch überregionales Kunst- und Kulturgut aus mehreren Jahrhunderten bewahrt, stellt dabei eine ganz besondere Herausforderung für die Provenienzforschung dar, da nicht nur Werke der bildenden Kunst, sondern auch Möbel, Keramiken, Silber und Alltagsgegenstände auf den Prüfstand gestellt werden müssen.

Ziel ist die lückenlose Aufarbeitung der jeweiligen Provenienz und die Identifizierung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen oder veräußerten Sammlungsstücken. Bislang konnten die folgenden Sammlungsstücke als „NS-Raubgut“ identifiziert und restituiert werden:

Katalanischer Albarello, Ende 18. Jh., erworben 1942 von Mozes Mogrobi, Amsterdam

Niederländische (Eck-)Fliese, 16. Jh., erworben 1942 von Mozes Mogrobi, Amsterdam

 

Niederländischer Renaissance-Überbauschrank, 17. Jh., erworben 1943 beim Auktionshaus Hans W. Lange, Berlin (Provenienz: Jacques Goudstikker, Amsterdam)

 

Lavabokessel, 16. Jh., erworben 1934 von Bertha Goldschmidt, Oldenburg

 

Vermitteln & Ausstellen

Seit Aufnahme der Provenienzforschung am Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg ermöglichen regelmäßige Führungsangebote für verschiedene Zielgruppen vertiefende Einblicke in die Anliegen und Ziele von Provenienzforschung. Sie vermitteln einen sammlungsübergreifenden Überblick über bislang untersuchte Werke und Objekte. Ergänzung erfährt das didaktische Programm durch regelmäßige Vorträge, Workshops und Fortbildungen, die sich sowohl an Laien als auch Museumsfachleute richten. Eine 2012 mit der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg vereinbarte Kooperation ermöglicht es darüber hinaus Master-Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen, Theorie und Praxis der Provenienzforschung in aufeinander aufbauenden Seminar- und Übungsveranstaltungen kennenzulernen.

Mit der Sonderausstellung „Herkunft verpflichtet! Die Geschichte hinter den Werken“, die 2017/18 im Oldenburger Schloss gezeigt wurde, gehörte das Landesmuseum zu den ersten deutschen Museen, die Anliegen, Methoden, Bedingungen und Resultate der Provenienzforschung in einer Ausstellung für eine breite Öffentlichkeit sichtbar machten. Wie in einem begehbaren Lexikon konnten sich Besuchende auf einen narrativen Entdeckungsgang begeben, der regionale Forschungsergebnisse im Kontext genereller Aspekte und Schlüsselbegriffe der Provenienzforschung von A bis Z präsentierte. Die gleichnamige Begleitpublikation ermöglicht in Form von 101 knappen und verständlich formulierten Schlagworten zur Provenienzforschung einen guten Überblick über ein komplexes Forschungsfeld und wendet sich an eine breite Leserschaft.

Provenienzforschung & Privatbesitz

Welche Möglichkeiten hat die Provenienzforschung, sich mit Raubgut zu befassen, das sich nicht in öffentlichen und damit frei zugänglichen Sammlungen befindet, sondern in Privathaushalten bzw. -sammlungen? Das Landesmuseum für Kunst & Kultur Oldenburg und das Stadtmuseum Oldenburg gründeten 2014 die kooperative „Restitutionssammlung“, die außerhalb der Sammlungsstruktur beider Häuser angelegt ist und als treuhänderischer Verwahrungsraum für potentielles NS-Raubgut in Privatbesitz fungiert. Privatpersonen können verdächtige oder bereits als Raubgut identifizierte Stücke als Leihgabe in diese Sammlung geben, in der sie mit dem Ziel der Restitution verwahrt werden. Auf Wunsch kann dies anonym geschehen, so dass Bedenken bezüglich der Reputation der Familie keinen Hinderungsgrund darstellen. Damit die belasteten Stücke nicht dauerhaft in den Museen verbleiben, wird ein Leihvertrag aufgesetzt, der die Befristung der Objektübernahme regelt. Darüber hinaus wird schriftlich vereinbart, dass sich die Leihgeber:innen mit der Restitution einverstanden erklären, sollte sich die Herkunft des betreffenden Werkes oder Objektes klären lassen. Ziel ist es, potentielles NS-Raubgut aus der geschützten Privatsphäre in einen öffentlichen Raum zu überführen, so dass es gezeigt, gesehen und eventuell wiedererkannt werden kann. Anfang des Jahres 2017 konnte mit dem Schlossmuseum Jever ein neuer Kooperationspartner gewonnen werden, der als Ansprechpartner für den Landkreis Friesland fungiert.

Deutsches Zentrum für KulturgutverlusteErklärfilm Provenienzforschung

Was ist Provenienzforschung?

Provenienz- oder Herkunftsforschung untersucht die Biografie von Kulturgütern – von ihrem Ursprung bis zu ihren heutigen Besitzer:innen. Sie wird von Museen, Bibliotheken, Archiven, Auktionshäusern oder Personen betrieben, die Kulturgüter besitzen oder damit handeln, aber auch von Menschen, denen Kulturgüter entzogen wurden.

Provenienzforschung fragt:

  • Für wen wurde das Kulturgut geschaffen?
  • Wem gehörte es wann?
  • Unter welchen Umständen wechselte es den Besitz?

Nicht immer kam ein Besitzwechsel freiwillig oder zu fairen Bedingungen zu Stande. Aktuell beschäftigt sich die Provenienzforschung vor allem mit folgenden vier Unrechtskontexten:

  • NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut, kurz: NS-Raubgut. Das betraf insbesondere jüdische Bürger:innen in Deutschland und allen besetzten Ländern.
  • Kriegsbedingt verlagertes Kulturgut des Zweiten Weltkriegs, kurz: Kriegsverluste.
  • Kulturgutentziehungen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR.
  • Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten einschließlich menschlicher Überreste.

Enteignet und geraubt wurden herausragende Kunstwerke genauso wie zahllose Alltagsgegenstände. Bei der Erforschung von Provenienzen erfassen Forscher:innen die Grunddaten und beschreiben das Objekt bis ins letzte Detail. Sie prüfen:

  • Gibt es Provenienzmerkmale am Objekt?
  • Gibt es hauseigene Archivhinweise darauf, wie es in die Sammlung kam?
  • Benennen externe Quellen den Gegenstand?
  • Gibt es andere schriftliche oder fotografische Hinweise auf seinem Weg?
  • Taucht das Objekt in Biografien, Briefen und Erzählungen auf?

Jede Spur kann helfen, die Provenienz eines Kulturguts zu rekonstruieren. Stellt sich heraus, dass ein Gegenstand geraubt oder entzogen wurde, sollten Rückgaben eingeleitet oder gerechte und faire Lösungen gefunden werden.

 

WeitereForschungsprojekte

Nebeneinander aufgestellte Buchrücken von Publikationen des Landesmuseums Kunst & Kultur Oldenburg.

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