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Max Ernst, Forêt et soleil (Der Bretterwald), 1956 

Farblithografie
Erworben als Ankauf
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 11.878

Juliane Peil

Mit dem Beginn der Romantik Ende des 18. Jahrhunderts und der fortschreitenden Industrialisierung wurden die Waldflächen in Deutschland zunehmend erschlossen. Ursprünglich als Gefahrenort beschrieben, wurde der Wald schnell als Sehnsuchts- und Rückzugsort idealisiert. Er bildete damit einen Gegenpol zur neuen industriell-urbanen, maschinengetriebenen Zivilisation. Die tiefe Verbundenheit mit dem Wald – sei es emotional, symbolisch oder kulturell – findet sich seither nicht nur in unzähligen Märchen, Mythen und Erzählungen, sondern auch als Bildmotiv in der Kunst wieder. So inszenierten Maler und Poeten das neue Gefühl von Waldeinsamkeit in ihren Werken.

Der Künstler Max Ernst (1891–1976) beschäftigte sich zeitlebens mit dem Thema Wald, dem er seit Kindertagen zwiegespalten gegenüberstand. Als sein Vater Philipp Ernst, ein begeisterter Hobbymaler, ihn erstmals mit in den Wald nahm, verspürte Max Ernst sowohl Freiheit als auch Beklemmung. Diese Ambivalenz spiegelt sich auch in Ernsts Waldbildern, die von subjektiven Erfahrungen und Empfindungen geprägt sind. In seinen autobiografischen Texten wiederholte er immer wieder die Frage „Qu‘est-ce qu‘une forêt?“ (frz. „Was ist ein Wald?“), die er etwa in seinen Biographischen Notizen von 1962 wie folgt beantwortete:

„Gemischte Gefühle, als er zum ersten Mal den Wald betritt, Entzücken und Bedrückung. Und das, was die Romantiker ‚Naturgefühl‘ getauft haben. Die wunderbare Lust, frei zu atmen im offenen Raum, doch gleichzeitig die Beklemmung ringsum von feindlichen Bäumen eingekerkert zu sein. Draußen und drinnen zugleich, frei und gefangen.“

Max Ernst, der als Autodidakt zu malen begann, forderte dazu auf, die Grenzen zwischen der sogenannten Innen- und der Außenwelt zu verwischen. Bereits Caspar David Friedrich erörterte um 1830: „Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, dass es zurückwirke auf andere von außen nach innen.“ Obwohl Ernst sich mit dieser Aussage und dem „Naturgefühl“ der Romantik identifizierte, findet in seinen Bildern keine Verklärung des Waldes statt.

Die düster und bedrohlich wirkenden Wälder Ernsts sind weder Sehnsuchtsbilder noch ein reales Abbild der Natur. Auch sie entstanden in der Innensicht des Künstlers. Anstelle von sattgrünen, melancholisch anmutenden Waldlandschaften werden starre und organische Formen zu netzartigen oder skeletthaften Wäldern, die die Betrachtenden wohl kaum zum Verweilen einladen. Dabei verkörpert der dichte, undurchdringliche Wald für Ernst die bisher unberührte und nicht bewirtschaftete Natur. 

Bereits als Kind war Ernsts Lieblingsbeschäftigung das „Sehen“: In Holzmaserungen, Tapetenmustern und auf Maueroberflächen entdeckte er fantastische Wesen und Landschaften. Um das von ihm Gesehene für andere sichtbar zu machen, nutzte er neben der Frottage auch die Collage oder die Grattage. Letztere bezeichnet ein künstlerisches Verfahren, bei dem Ernst um 1927 die Frottage auf die Ölmalerei übertrug. Der Name Frottage leitet sich vom französischen frotter ab und bedeutet u.a. „reiben“. Die Durchreibetechnik geht auf ein altes chinesisches Verfahren zurück, das 1925 von Ernst wiederentdeckt und als künstlerische Ausdrucksform weiterentwickelt wurde. Hierbei wird ein Blatt Papier auf ein bestimmtes Material (z.B. Blätter, Holz, Tapete) gelegt. Durch das Abreiben mit Kreide-, Wachs- oder Bleistiften wird die Oberflächenstruktur auf den Bildträger übertragen. Dieses Verfahren bildete eine wichtige Grundlage für Max Ernsts Gesamtwerk, da er die Objekte nicht vorrangig als Vorlage, sondern eher ihre materielle Beschaffenheit in den Herstellungsprozess einbezogen hat.

Das 1925 entstandene Mappenwerk Histoire naturelle (frz. „Naturgeschichte“) bildet eine Zäsur in dem künstlerischen Schaffen Ernsts. Neben vielen Landschaftsmotiven, die er auch später kontinuierlich aufgriff, finden sich darin die ersten Blätter zum Thema Wald. Als Urbild aller Wälder wird in der Literatur jedoch seine Arbeit La petite fistule lacrimale qui dit tictac  („Die kleine, tickende Tränendrüse“) von 1920 hervorgehoben. Die mit Gouache übermalte Tapete bildete höchstwahrscheinlich den Ausgangspunkt für die über 100 Variationen, die Mitte der 1920er Jahre zum Thema Wald entstanden sind. Dabei variierten nicht nur die Bildinhalte, sondern auch der Einsatz verschiedener technischer Verfahren. Insbesondere mit der Entdeckung der Frottage gewann das Waldmotiv im Werk von Max Ernst zunehmend an Bedeutung. Zunächst entstanden 1926/27 die sogenannten Bretterwälder, die 1927 von den Grätenwäldern abgelöst wurden. Ab 1928 wird die Darstellung abstrakter und durch geometrische Linienstrukturen weitestgehend aufgelöst. Ende der 1930er Jahre werden die Walddarstellungen zwischenzeitlich durch Dschungel- und Sumpfbilder ersetzt.

Kombiniert werden die Waldinterpretationen oft mit Darstellungen von Vögeln oder der Sonne, welche häufig als Ring abgebildet wird. Die Frottage ermöglichte es Ernst, Motive unendlich zu wiederholen. Nicht nur bestimmte Bildthemen, sondern auch die kurz gehaltenen Bildtitel sind wiederkehrend und beinhalten meist das französische Wort forêt für „Wald“, z.B. La grande forêt („Der große Wald“), L’oiseau dans la forêt („Der Vogel im Wald“) oder La forêt est fermée („Der Wald ist verschlossen“). 

Stets auf der Suche nach neuen Darstellungstechniken, nutzte Ernst das Prinzip der Frottage auch für die Grafik. Hierfür verwendete er lithografisches Umdruckpapier, d.h. das Bild wird mithilfe eines Spezialpapiers auf einen Lithografiestein übertragen – so auch bei der ausgestellten Arbeit Forêt et soleil (frz. „Wald und Sonne“). Ohne die direkte Übersetzung des Titels wäre es auf den ersten Blick vermutlich nicht ersichtlich, dass es sich um eine Darstellung des Waldes handelt. Es scheint, als würden sich drei Bäume aus dem unteren Bildrand Richtung Himmel erheben. Auch die feine, detaillierte Holzmaserung unterstützt den vertikalen Bildaufbau, der bereits bei einigen Blättern der Serie Histoire naturelle vorkommt und charakteristisch für Ernsts Bretterwälder ist. Gleichzeitig erinnert die Holzstruktur an die Wiederentdeckung der Frottage: 1925 legte Ernst in einem Gasthaus erstmals ein Blatt Papier auf den strukturierten Dielenboden und kopierte das Oberflächenrelief. Die 1956 entstandene Lithografie diente noch im selben Jahr als Plakatvorlage für die Ausstellung histoire naturelle in der Pariser Galerie Berggruen. 

Vom 13. Februar bis 12. Mai 2024 wird Max Ernsts Farblithografie, die in einer Auflage von 200 Stück erschienen ist, viele weitere Walddarstellungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert im Rahmen der Kabinettschau „Waldrauschen“ im Prinzenpalais ergänzen.

Literatur:
Max Ernst: Biographische Notizen. Wahrheitsgewebe und Lügengewebe, in: Ausst.kat. Wallraf-Richartz-Museum, Köln/ Kunsthaus Zürich 1962/63.
Julia Nebenführ und Wilhelm-Hack-Museum (Hg.): Zoom #6. Max Ernst. Vegetationen. Ausst.kat. Wilhelm-Hack-Museum, Köln 2018. 
Eduard Trier: Max Ernsts Waldeslust, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Vol. 46/47 (1985/86), S. 349–365.

 

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