Unbekannte:r Künstler:in, Tabakdose, 18. Jh.
Messing, gestanzt
Erworben 1888 als Ankauf aus der Sammlung Wulf, Lastrup
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 3.688
Zoe Marie Achtsoglou
Tabakdosen erfreuten sich vom 17. bis 19. Jahrhundert zur Aufbewahrung von Rauchtabak großer Beliebtheit. Im Gegensatz zur Lagerung in Stoffbeuteln, wirkten Dosen aus Messing einem ungewollten Zerreiben der Tabakblätter entgegen. Vermutlich im 18. Jahrhundert gefertigt, wurde die Tabakdose eines unbekannten Künstlers 1888 für die Großherzogliche Altertümersammlung erworben. Hauptproduktionsort solcher Dosen waren die Niederlande, sie wurden aber auch nach niederländischem Vorbild in Deutschland gefertigt und u. a. auf Märkten im Herzogtum Oldenburg verkauft. Durch die einsetzende Massenproduktion mit gestanzten Motiven konnte ein breites Publikum angesprochen werden. Neben Tabakdosen mit biblischen Abbildungen, waren auch lustvolle Motive sowie Stadtansichten bei den Käufer:innen beliebt.
Die Dose hat eine typisch längliche, abgerundete Form mit einer profilierten Wandung. Ähnlich dem Bildschema frühchristlicher Sarkophage, ist der Deckel durch Bäume in fünf Bildfelder unterteilt und zeigt die Schöpfungsgeschichte (Gen. 1, 26–4, 8), die durch eine Inschrift zur Erschaffung Adams und Evas am sechsten Tag ergänzt wird. Das Bildprogramm zeigt die Schöpfung bis zum Sündenfall. Der Schöpfer erschafft im ersten Bildfeld den nackten Adam, der noch reglos am Boden liegt. Kräftig haucht Gott ihm in der zweiten Szene den Atem ein. Im dritten Bild erschafft er Eva aus der Rippe Adams. Die vierte Szene zeigt Adam und Eva neben dem Baum der Erkenntnis und die Schlange, die sich um den Baum windet, deutet bereits die Verführung der beiden an. Das letzte Bild zeigt den Sündenfall: Adam und Eva pflücken eine Frucht vom Baum der Erkenntnis und essen sie.
Auch der Boden der Tabakdose zeigt ein Bild-Text-Programm: Hier beschreiben die Inschrift und Motive den Sündenfall bis zum Brudermord. Im ersten Bildfeld verhandeln Adam und Eva mit Gott. Da sie vom Baum der Erkenntnis gekostet und ihre Nacktheit erkannt haben, bedecken sie ihre Scham mit einem Blatt. Die nächste Szene zeigt die Vertreibung aus dem Paradies, die durch einen Engel mit Schwert vollzogen wird, der die Rückkehr verwehrt. Der Tod, in Form eines Skeletts mit Sanduhr und Sichel, ist zwischen den Fliehenden positioniert und deutet ihre Sterblichkeit an. Von Scham ergriffen und in Tuniken gekleidet, sitzen Adam und Eva in der dritten Szene voneinander abgewandt am Boden. Die vierte Szene zeigt ihre Kinder Kain und Abel, die ein Opferfeuer entzündet haben. Im linken oberen Bildfeld ist eine Wolke mit einer Hand zu erkennen, die ein Symbol für den Schöpfer ist. Dadurch, dass die Hand auf Abel zeigt und sein Feuer deutlich höher lodert, ist zu erkennen, dass sein Opfer größere Anerkennung vor Gott findet. Durch diese Schmach erbost, zeigt die letzte Szene das Resultat des Konflikts. Kain hat Abel aus Eifersucht auf ein Feld gelockt und erschlägt ihn mit einer Keule.
Neben den Hauptmotiven werden die Leerräume, als Abwendung des horror vacui (lat. Scheu vor der Leere), durch Tiere ausgeschmückt. Sie repräsentieren einerseits die Schöpfung der Tiere am fünften und sechsten Tag (Gen. 1, 20–25), andererseits haben sie in der christlichen Bildkunst spezielle Bedeutungen. So ist die Taube das Symbol des Heiligen Geistes, der Hirsch steht für die Seele des Gläubigen. Hase und Einhorn symbolisieren Christus und deuten durch die Darstellung in den Sündenfallszenen auf der Tabakdose die spätere Vergebung durch den Tod Christus an.
Das Bildthema Adam und Evas kam Anfang des 3. Jahrhunderts zunächst in Form des Sündenfalls in Wandmalereien und der Sarkophagplastik auf und fand schnell Anklang in verschiedenen Kunstgattungen. Die Opferung von Kain und Abel ist ebenfalls seit frühchristlicher Zeit, zunächst vor allem in der Sarkophagkunst, verbreitet. Im Gegensatz zur Motivik auf der Tabakdose wird die Opferung meist durch die spezifischen Opfergaben – Lamm und Feldfrüchte – dargestellt.
Der Inhalt dieser reich verzierten Dosen kam als „Kolonialware“ nach Europa. Seinen Ursprung hatte der Tabakkonsum spätestens im 10. Jahrhundert in Südamerika und breitete sich über das heutige Mexiko und Mississippi nach Norden aus. Durch die Missions- und Eroberungsbestrebungen brachten die europäischen Eroberer viel Leid durch Krankheiten, Krieg und Entrechtung über die indigene, also einheimische Bevölkerung. Ende des 15. Jahrhunderts wurde der Tabak als Kolonialware über den Seeweg zunächst nach Spanien und Portugal importiert. 1558 gelang es, den ersten Tabak in Spanien anzubauen, danach folgten England, Frankreich und Italien.
Durch den Einfluss von Soldaten aus den Söldnerheeren ganz Europas fand der Tabakkonsum im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 auch in Deutschland Verbreitung. Somit war das Rauchen ab dem 17. Jahrhundert, zumeist mit Tonpfeifen, in allen europäischen gesellschaftlichen Schichten verbreitet. Der Konsum von Tabak diente der Konzentration, aber auch der geistigen Entspannung. Immer wieder kam es zu Konsumverboten, die vor allem wegen der Brandgefahr, aber auch aus gesundheitlichen Gründen ausgesprochen wurden. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts nahm das Rauchen mit Tonpfeifen ab, stattdessen wurden Materialien wie Holz oder Ton (Meerschaum) verwendet. Da aber vor allem beim Adel das Schnupfen des Tabaks beliebter wurde, verlor das Pfeife-Rauchen zunehmend an Beliebtheit und somit auch die Verbreitung der Rauchtabakdosen.
Die Bezeichnung der Nachtschattengewächse als Tabak geht im Übrigen auf ein Missverständnis zurück. Die indigenen Bevölkerungen Süd- und Nordamerikas bezeichneten die Rauchrohre, die aus Mais- oder Binsenrohr bestanden, als tabagos, die Tabakpflanze jedoch als cohoba oder cagioba bzw. petun bezeichnet. Namensgebend für den botanischen Namen Nicotiana (Nikotin) war Jean Nicot, ein französischer Gesandter des 16. Jahrhunderts.