Unbekannter Künstler, Blumenbouquet aus Muscheln, Krustentieren, Papier und Textil unter Glashaube, um 1820
Glas, Holz, Muscheln, Krustentierpanzer, Textil, Draht
erworben 1845
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 5.866
Eike Lossin
Der Frühling naht auch hierzulande spätestens im April und mit ihm sprießen die ersten Blumen aus heimischen Gärten und Gärtnereien, die dann die eigenen vier Wände schmücken. Diese Rückkehr an Farben und frischem Grün werden vermutlich auch vorangegangene Generationen herbeigesehnt haben. Unser Objekt des Monats April enthält zwar keine frischen Schnittblumen, seine Verwendung zielte eher darauf ab, Florales dauerhaft und kunstvoll aus Draht, buntem Papier und Muschelschalen sowie Krustentierpanzern unter einer Glashaube zu präsentieren.
Ihren Ursprung finden Bouquets mit frischen oder aus Papier gefalteten Blumen, beizeiten geschützt durch Glashauben, zunächst im Kontext von Andachten in der römisch-katholischen Kirche in Italien. Dort nämlich stand ein aufwändiger Schmuck des Altarraums und vor allem von Marienbildnissen ab dem 18. Jahrhundert im direkten Zusammenhang mit der Etablierung des Monats Mai als Marienmonat.
Unser Exemplar ist jedoch bedeutend jünger. Verglichen mit einem ebenso seltenen Stück aus der Sammlung des Victoria & Albert Museums in London, das auf das Jahr um 1780 datiert wird, legen die Plinte aus Mahagoni-Furnier wie auch die Form und Auszier des Blumenbouquets und der Vase mit zwei Henkeln eine Herstellung zwischen 1820 und 1830 nahe. Als Herkunftsländer solch dekorativer Artefakte gelten England, Frankreich oder eben auch Italien.
Auch der Nutzungskontext dieser Muschelblumen-Gläser hatte sich ins 19. Jahrhundert hinein gewandelt und war nun ein ganz und gar profaner. Als gefälliges Accessoire schmückten sie meist paarweise die Salons und Empfangszimmer Adeliger wie auch des wohlhabenden Bürgertums. Die Herstellung dieser Blumenarrangements und ebenso die Verzierung von Kästchen, Spiegeln und Rahmen geriet vor allem im Zeitalter Königin Victorias (1837–1901) und nicht nur in Großbritannien zum beliebten Zeitvertreib der weiblichen Oberklasse.
Ein erster Hinweis auf den Blumenstrauß unter Glas in Oldenburg findet sich im Katalog der „Ausstellung von Seltenheiten, Merkwürdigkeiten und Curiositäten (Zum Besten der Armen)“ aus dem Jahr 1845, gedruckt bei der Schulzeschen Verlagsbuchhandlung. Die Ausstellung fand vom 1. Februar 1845 für zunächst acht Tage im Obergeschoss des Hauses in der Huntestraße 8 statt. Im als Bollmannsche Stuben bekannten Gebäude war bereits 1836 von Großherzog Paul Friedrich August das Naturhistorische Museum ins Leben gerufen worden, dessen erster Vorstand ab 1837 der großherzogliche Oberkammerherr Karl Jakob Alexander Edler von Rennenkampff (1783–1854) war.
Auf ihn und seinen Kustos, Friedrich Wiebken (1815–1897), scheint dieses Ausstellungsprojekt zurückzugehen, woran beide offenkundig großen Ehrgeiz entwickelt hatten. Im Vorwort des Katalogs vermerken sie: „Wie ernsthaft wir es auch von Anfang an mit dem Zweck dieser Ausstellung gemeint, so kam uns die Sache selbst zuerst nur spaßhaft vor. Aber sie ist uns unter unsern Händen […] insofern über den Kopf gewachsen, daß wir dem geehrten Publicum nicht mehr bloß Scherze und einzelne Curiositäten vorzuzeigen haben, sondern uns jetzt schon von einer Masse wirklich seltener und origineller Merkwürdigkeiten umgeben sehen, über deren Reichtum wir selber erstaunen.“ Tatsächlich hatten die beiden insgesamt 630 außergewöhnliche Exponate zusammengetragen, wie zum Beispiel eine „Locke vom Haupte des Kaisers Napoleon“ oder „Ein Stück Schinken, 300 Jahre alt, aus einer ostfriesischen Burg“ sowie vor- und frühzeitliche Bodenfunde der Region, asiatisches Kunsthandwerk, historische (Prunk)Waffen, „Merkwürdige Naturproducte“ und nicht zuletzt mit der Nummer 236 in der Abteilung „Moderne Kunstsachen, Kleider, Geräthe“ einen „Kasten mit Muschelarbeit“. Dass sich die Objektnummer in Form und Größe einer Briefmarke noch immer auf der hölzernen Plinte unseres Muschelblumen-Glases befindet, lässt somit die Identifikation zu, und ein zweiter, maschinenschriftlicher Zettel gibt Aufschluss über eine spätere Präsentation aus Zeiten des Landesmuseum ab 1923. Darauf gestattete sich ein Kurator (oder eine Kuratorin) den ungewöhnlich wertenden, ja abschätzigen Kommentar: „Blumenvase aus Muscheln, Geschmacksverirrung im Stil der Biedermeierzeit“.
Ob wir in Betrachtung unseres Objekts des Monats dieser Meinung beipflichten werden, sei jedem selber überlassen. Das Außergewöhnliche und die Seltenheit dieses kunstvollen Blumenbouquets unter Glas – zu dem mit Sicherheit einst ein zweites Exemplar ähnlichen Inhalts gehörte – ist auch angesichts seines verhältnismäßig guten Erhaltungszustands und seiner frühen Zugehörigkeit zu den großherzoglichen Sammlungen wohl eher jenseits des Sentiments und ästhetischer Vorlieben anzusiedeln.
Literatur:
Lipps, Holger: Englische Möbel. München 1976.
Ohne Autor: Ausstellung von Seltenheiten, Merkwürdigkeiten und Curiositäten (Zum Besten der Armen). Oldenburg 1845.