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Ernst Barlach, Strandläufer, um 1900

Feder über Kohle, Zeichenpapier
Erworben 1948 bei der Galerie schwoon, Oldenburg, als Stiftung des Landesfürsorgeverbands
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 11.129b

Zoe Marie Achtsoglou

„Nun kann mir aber die Plastik nicht ganz genügen, deshalb zeichne ich, und weil mir auch das nicht ganz genügt, schreibe ich“, so der heute vor allem für seine Plastiken bekannte, vielseitig talentierte 19-jährige Ernst Barlach über sein künstlerisches Schaffen. Neben den dreidimensionalen Arbeiten umfasst sein Werk fast 11.000 Skizzen sowie 2.700 zeichnerische Werke und literarische Kompositionen. Das Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg besitzt von ihm etwa 30 grafische Arbeiten.

Geboren wurde Ernst Barlach 1870 in Wedel (Holstein) als ältester Sohn des Arztes Dr. Georg Barlach und Louise Barlach, geb. Vollert. Die Kindheit verbrachte er mit seinen Brüdern und seiner Mutter in Schönberg und Ratzeburg. Sein Vater verstarb früh an einer Lungenentzündung. Während des letzten Schuljahres an der Realschule Schönberg schloss Barlach Freundschaft mit Friedrich Düsel, mit dem er auch nach seiner Schulzeit durch eine rege Brieffreundschaft verbunden blieb. 1888 wechselte er an die Gewerbeschule in Hamburg, einem Vorläufer der heutigen Hochschule für bildende Künste. Hier ereilte ihn im selben Jahr eine schwere Rippenfellentzündung, die er von August bis Mitte Oktober im Rahmen eines Kuraufenthalts auf Norderney auszukurieren suchte. In seinen Briefen an Friedrich Düsel schilderte er seine Bewunderung für das Meer, die auch in der hier präsentierten Skizze zum Ausdruck kommt: „Mein Skizzenbuch füllt sich zusehends mit großen Ansichten von der Insel Norderney, die mir eine liebe Erinnerung sein werden“ (25.9.1888). Nach überstandener Krankheit setzte er sein Studium fort und wechselte 1891 an die Dresdner Akademie. Hier belegte er Kurse im Fach Bildhauerei und wurde Meisterschüler von Robert Diez. Wiederholt erinnerte sich Barlach später in seinen Briefen an Friedrich Düsel an den Kuraufenthalt auf Norderney. Aber auch seine Urlaube im ostholsteinischen Niendorf (Timmendorfer Strand) erwähnt er, in denen er Meereskompositionen, u. a. für die Aufnahmeprüfung in Dresden, skizzierte.

Die Grafik „Strandläufer“ zeigt eine Meereslandschaft. Wahrscheinlich fertigte Barlach sie in der Absicht, sie in der Zeitschrift „Jugend“, dem Namensgeber für die Stilrichtung Jugendstil, zu veröffentlichen. Zwei unbekleidete Knaben rennen dynamisch auf die Brandung zu, Gischt schäumt auf. Die vordere Person blickt während des Rennens zurück. Es wirkt, als rufe sie dem zweiten Läufer etwas zu, der mit großen Schritten folgt. Wasser spritzt um seine Füße, die Haare wehen im Wind. Eine dritte Person im linken Bilddrittel kehrt den Betrachtenden den Rücken zu. Sie trägt eine dunkle Kniehose und zieht sich mit ausgestreckten Armen eine helle Jacke an, die vom Wind aufgebläht wird. Am Himmel ziehen zarte Wolkenfelder vorbei. Der Kunstgriff der anonymen Rückenfigur bietet den Betrachtenden die Möglichkeit, sich selbst in das Bildgeschehen hineinzuversetzen. Beinahe meint man das Rauschen des Meeres, das Flattern der Jacke und das vergnügte Stimmengewirr der Strandläufer hören zu können.

Barlach war inspiriert vom Immateriellen. Er versuchte die tiefen Emotionen, die Seele und dabei das Überweltliche, Unbewusste darzustellen. Hierzu eignete sich das Motiv des Meeres im Besonderen, da es die Kraft der Natur, die Sehnsucht und das Leben symbolisiert. Er wählte die natürliche Nacktheit der Strandläufer und den Wind als Symbole des freien Geistes.

Beeinflusst durch seine Russlandreise im Jahr 1906 schuf Ernst Barlach expressionistische Skulpturen, die durch die russische Volkskunst und die ländliche Lebensweise inspiriert waren. 1910 zog er mit seinem Sohn zu seiner Mutter Louise nach Güstrow, wo er bis zu seinem Lebensende im Jahr 1938 wohnte und in seinem von Adolf Kegebein (1894–1987) entworfenen Atelier arbeitete. Barlach war u. a. Mitglied der Berliner Secession, Ehrenmitglied der Akademie der Bildenden Künste München und wurde von den Galeristen und Sammlern Paul Cassirer und Alfred Flechtheim gesammelt. Am 19. August 1934 unterschrieb Ernst Barlach, ebenso wie 37 weitere Kulturschaffende wie Emil Nolde und Ludwig Mies van der Rohe, den Aufruf der Kulturschaffenden von Joseph Goebbels, durch deren Unterschrift sie Adolf Hitler Vertrauen und Treue schworen. In der Folgezeit wurde Ernst Barlachs Kunst dennoch durch die Nationalsozialisten, vor allem aufgrund des Einflusses aus Russland auf seine Kunst, als „entartet“ diffamiert. Ein Großteil seiner Werke wurde 1937 in der NS-Aktion „Entartete Kunst“ beschlagnahmt und zum Teil vernichtet. Einige wurden im selben Jahr in der gleichnamigen Ausstellung in München ausgestellt. Ernst Barlach erhielt in der Folge zwar ein Ausstellungs- jedoch kein Berufsverbot und ihm wurde eine Altersbeihilfe gewährt.

Das hier präsentierte Werk wurde 1948 vom Landesmuseum bei der „Galerie schwoon“ in Oldenburg als Stiftung des Landesfürsorgeverbandes erworben. Diesem Verband oblagen die Aufgaben der staatlichen „Kommission für die Verwaltung der Fonds und milden Stiftungen“. In den durch sie verwalteten Einrichtungen, wie der „Heil- und Pflegeanstalt Wehnen“ und der „Bewahr- und Pflegeanstalt Blankenburg“, verhungerten in der Zeit des Nationalsozialismus zahlreiche Patient:innen, da die Pflegesätze vorsätzlich zu niedrig veranschlagt waren und die Menschen zu harter, unbezahlter Arbeit gezwungen wurden. Durch diese Praxis erwirtschafteten die Anstalten hohe Überschüsse, durch die zahlreiche Kultureinrichtungen im Oldenburger Land profitierten. Hierzu zählte auch das Landesmuseum Oldenburg, das mit einer einmaligen Zuwendung in Höhe von 75.000 RM bezuschusst wurde, die für den Ankauf von Kunstwerken bestimmt war. Insgesamt 23 Gemälde, Zeichnungen und Objekte konnten auf diese Weise erworben werden.

Karl Schwoon (1908–1976) war gebürtiger Oldenburger. Nach einer künstlerischen Ausbildung als Bühnenmaler am Oldenburger Landestheater und der Empfehlung durch den Direktor des Landesmuseums, Walter Müller-Wulckow, ging er ans Dessauer Bauhaus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründete er die für kurze Zeit bestehende „Galerie schwoon“ in Oldenburg und widmete Ernst Barlach eine Einzelausstellung. Erworben wurde das hier vorgestellte Blatt im Zuge der Bestrebungen Müller-Wulckows, die Verluste der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ im Jahr 1937 auszugleichen. Zu diesen Werken gehörte auch eine von Ernst Barlach angefertigte Lithografie mit dem Titel „Rasender Barbar (Wütender Barbar)“. Sie entstand um 1916/17, wurde 1924 in der Ausstellung „Graphik der Gegenwart“ von der „Vereinigung für junge Kunst“ im Oldenburger Augusteum ausgestellt und von dieser dem Landesmuseum geschenkt. Nach 1937 wurde sie von dem Kunsthändler Bernhard A. Böhmer, Güstrow wahrscheinlich ins Ausland verkauft. Ihr heutiger Verbleib ist unbekannt.

Literatur:
I. Harms, Der Verband. Anstaltsfürsorge zwischen Rassenhygiene, Bereicherung und Kommunalpolitik (Oldenburg 1924-1960), Weinheim 2021.
P. Onasch, K. Lemke , H. Helbig, Barlach Revisited. Eine kritische Bestandsaufnahme, Göttingen 2021.
H. Helbig u.a. (Hrsg.), Die Briefe. Kritische Ausgabe in vier Bänden, Berlin 2019.
G. Köpnick, R. Stamm (Hrsg.), Zwischen Utopie und Anpassung. Das Bauhaus in Oldenburg, Petersberg 2019.

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