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Theodor Plieviver, Eine deutsche Novelle
Mit Holzschnitten von F.,M. Jansen, Bremen 1949

Geheftetes Buch mit Papiereinband
1993 in der Bibliothek des Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg aufgefunden
Landesmuseum Kunst & Kultur Oldenburg
Inv. 21.795

Björn Bertrams

Anfang der 1990er Jahre tauchte dieses Buch in der Bibliothek des Landesmuseums Kunst & Kultur Oldenburg auf. Es war nicht im Bibliotheksbestand verzeichnet und lagerte dort, ohne Signatur, in Vergessenheit. Ebenso vergessen erscheinen heute Theodor Plievier, der Autor, und F.M. Jansen, der Illustrator dieser deutschen Novelle. Die vorliegende illustrierte Ausgabe wurde 1949 gedruckt. Die Originalausgabe stammt von 1947. Die Handlung des Buches spielt während der NS-Zeit, Thema ist aber zunächst der Kieler Matrosenaufstand 1918.

Ein Unbekannter klingelt an der Tür des Erzählers. Der unerwartete Besucher ist ein Automobilhändler namens Lommer, der dringend mit dem Erzähler, einem Schriftsteller, sprechen will. Lommer hat dessen Roman über die deutsche Marine im Ersten Weltkrieg und den Matrosenaufstand in Kiel gelesen. Als junger Rekrut hatte Lommer in der kaiserlichen Marine gedient. 1918 kämpfte er für die Monarchie gegen die rebellierenden Matrosen und erschoss dabei einen ihrer Anführer. Wenig später war ihm bewusst geworden, dass er auf der falschen Seite gekämpft hatte.

Lommer besucht den Schriftsteller am 28.2.1933. Ein Monat vorher wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt. Und in der Nacht zuvor war der Reichstag in Brand gesteckt worden. Hierauf erließ Reichspräsident Paul von Hindenburg eine Notverordnung, die die Grundrechte der Bürger massiv einschränkte und die Republik in einen totalitären NS-Staat verwandelte. Die Machtübernahme der Nazis erinnert Lommer an die Ereignisse von 1918 und an seine Schuld am Tod des Matrosenanführers.

Als die Nazis 1933 Hitlers Ernennung zum Reichskanzler mit einem Fackelzug durch die Straßen Berlins begehen, begreift Lommer, dass er wieder auf der falschen Seite steht. In der NSDAP hat er es zu einigem Ansehen gebracht. Er bemerkt nun aber, dass die Nazis, sosehr sie Wohlstand durch Beschäftigung propagieren, sich um das Wohl der Arbeiter:innen letztlich nicht scheren. Lommer schlägt dem Schriftsteller daher vor, ein Widerstandsnetzwerk gegen das NS-Regime aufzubauen. Dazu brauche er seine Hilfe, denn der Schriftsteller hat Kontakte zu Oppositionellen im Ausland. Der Schriftsteller ist derweil im Begriff, aus Deutschland zu fliehen.

Theodor Plievier war überzeugter Anarchist. In seinen politischen Schriften machte er sich für die Überwindung kapitalistischer Arbeitsverhältnisse und für die Schaffung selbstverwalteter Kommunen stark. Am wichtigsten war ihm die Freiheit der Individuen gegenüber der Staatsgewalt. So lehnte er die autoritären Tendenzen zeitgenössischer Kommunisten ab. In jungen Jahren war Plievier als Matrose auf See gewesen und hatte in der Marine gleichgesinnte Freunde gefunden. 1918 war er in Wilhelmshaven dabei, als sich revolutionäre Matrosen gegen die kaiserlichen Marinebefehlshaber auflehnten. Mit seinen anarchistischen Freunden lebte Plievier zeitweise in einer Kommune in der Schwäbischen Alb.

Der Schriftsteller in der Novelle gleicht dem Autor Plievier, der als Anarchist von den Nazis verfolgt wurde. Ihm gelang noch 1933 die Flucht nach Prag und schließlich in die Sowjetunion. Auch dort musste sich Plievier bedeckt halten, da seine politische Haltung nicht staatskonform war und er als staatenloser Exilautor von der Gunst sowjetischer Kulturfunktionäre abhängig war. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Plievier nach Deutschland zurück, zunächst nach Weimar. Mit der Politik der SED war er allerdings nicht einverstanden, sodass er 1947 in den Westen übersiedelte.

Dort erschien 1949 die illustrierte Ausgabe der deutschen Novelle, in einer Auflage von 700 Stück, im Verlag von Michael Hertz, der ansonsten als Kunsthändler in Bremen aktiv war. Die Bremer Ausgabe mit den Holzschnitten Franz M. Jansens geht auf Hertzens Anregung zurück. Wahrscheinlich sind sich Jansen und Plievier nie persönlich begegnet. In einem Brief drückt Jansen seine Sympathie für Plieviers literarische Werke aus. Ob diese Sympathie wechselseitig war, ist allerdings zweifelhaft; ein Antwortbrief von Plievier ist nicht bekannt. Jansens Holzschnitte und Radierungen aus der Zwischenkriegszeit beklagen die sinnlose Brutalität des Ersten Weltkriegs und die rücksichtslose Ausbeutung der Industriearbeiter:innen. Einige seiner Grafiken wurden in der linken Expressionisten­zeitschrift Die Aktion abgedruckt. Jansens künstlerisch-politische Motivation scheint derjenigen Plieviers durchaus verwandt.

Aufgrund seiner Holzschnitte und seiner expressionistischen Programmschriften galt Jansens Kunst im „Dritten Reich“ als „entartet“. Viele seiner Grafiken verschwanden in dieser Zeit aus deutschen Museen. Jansens Kunst ist allerdings nicht durchweg gesellschaftskritisch. Er interessierte sich auch für die Landschaftsmalerei, ein Genre, das er in der NS-Zeit weiterverfolgen konnte, ohne politisch anzuecken. In den 1930er Jahren unterstützte Jansen auch aktiv die Rassenideologie der Nationalsozialisten. Er führte mehrere Auftragsarbeiten für das Regime aus. An der Aula der Universität Köln prangte sein Wandgemälde Deutscher Mensch in deutscher Landschaft (1935). Für den Entwurf dieses rassistischen Propagandawerks hatte Jansen den ersten Platz in einem Wettbewerb erlangt. Ob Plievier von Jansens opportunistischer Haltung unter den Nazis Kenntnis bekam, ist nicht bekannt.

Am Ende der deutschen Novelle stellt sich heraus, dass Lommer sich tatsächlich gegen die Nazis gestellt hat. Der Schriftsteller trifft ihn wieder, als er im Januar 1945 das soeben von der Roten Armee befreite Konzentrationslager Auschwitz besucht. Lommer befindet sich unter den verbliebenen Häftlingen, die so geschwächt sind, dass sie nicht aus dem Lager fliehen können. „Wir haben Deutschland erschlagen!“, sagt er zum Schriftsteller, bevor er in dessen Armen stirbt.

Literatur:
W. Haug, Theodor Plievier. Anarchist ohne Adjektive. Der Schriftsteller der Freiheit. Eine Biographie, Bodenburg 2020.
F.M. Jansen an Th. Plievier, Brief v. 29.03.1948, Deutsches Literaturarchiv Marbach, Nachlass Plievier, Nr. 94.86.138.
U. Merholz, Franz M. Jansen. Das Graphische Werk. 1910–1956, Düsseldorf 1994.
K. Nellmann, F.M. Jansen (1885–1958). Die Gemälde, Göttingen 2013 (2 Bde.).
 

 

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